Dynamischer Kompromiss

geschrieben von Dr. Barbara Höll, Bodo Niendel

5. September 2013

Das Denkmal für die verfolgten Homosexuellen

Juli-Aug. 2008

Das von den skandinavischen Künstlern Ingar Dragsted und Michael Elmgreen gestaltete Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wurde am 26. Mai offiziell eingeweiht. Im Tiergarten und gegenüber dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas, ragt eine einzelne Stele schräg in die Luft und in einer kleinen Öffnung der Stele ist ein Film mit sich küssenden Männern zu sehen.

Der 95-jährige Ruolf Bradza legte gemeinsam mit dem Bundestagstagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse einen Kranz am Denkmal nieder, eine Stunde bevor der Christopher-Street-Day wenige hundert Meter entfernt eröffnet wurde und mit 500.000 Teilenehmerinnen und Teilnehmern durch die Straßen Berlins ziehen sollte. Es war ein bewegender Moment, denn Rudolf Bradza war wegen seiner Homosexualität im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Er ist vermutlich der letzte überlebende Schwule. Rudolf Brazda hatte sich beim Lesben und Schwulenverband Deutschlands gemeldet, weil er den Medien entnommen hatte, es gäbe keine überlebenden Schwulen mehr.

Schwule wurden während des Faschismus nach Paragraf 175 verfolgt, den die Nazis aus der Weimarer Republik übernommen, ihn jedoch 1935 noch verschärft hatten, so dass von da ab bereits der Versuch einer homosexuellen Handlung unter Strafe stand. Nach heutigem Forschungsstand schätzt man, dass etwa 10.000 bis 15.000 Schwule in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert wurden, etwa 4.000 wurden dort ermordet. Keiner der Überlebenden wurde entschädigt, denn das Bundesverfassungsgericht bezeichnete 1957 den Paragraf 175 und die damit verbundene Verfolgung nicht als »nationalsozialistisch geprägtes Recht«. Der Paragraf 175 war damit in der Bundesrepublik für Recht befunden worden und bestand in der von den Nazis verschärften Form bis 1969 fort. Er wurde erst 1994 endgültig aus dem Strafgesetzbuch getilgt. Mehr als 50.000 Schwule wurden zwischen 1950 und 1969 zu zum Teil langjährigen Haftstrafen verurteilt, einige von ihnen waren zuvor bereits unter den Nazis inhaftiert. Rehabilitiert und entschädigt sind sie bis heute nicht. Die DDR hatte den Paragraf 175 bereits 1957 de facto ausgesetzt.

Der gefundene Kompromiss bewirkt ein dynamisches Denkmal. Es wird jetzt alle zwei Jahre in der öffentlichen Wahrnehmung stehen und nicht nur einmal bei der Einweihungsfeier. Der Filmwettbewerb wird auch auf die Homophobie in der heutigen Gesellschaft verweisen, denn noch immer haben Lesben und Schwule nicht die gleichen Rechte wie Heterosexuelle, noch immer ist lesbisch und schwul – nicht nur auf Schulhöfen- ein Schimpfwort. Noch immer schauen selbst aufgeklärte Linke beim Anblick sich küssender Männer pikiert zur Seite. Noch immer ist lesbische und schwule Liebe nicht normal.

Der Eröffnung des Denkmals für die verfolgten Homosexuellen im Nationalsozialismus gingen viele Auseinadersetzungen voraus. Bereits 1992 gründete sich die Initiative »Der homosexuellen NS-Opfer gedenken«, sie regte den Bau des Denkmals an und entfachte Diskussionen. Unter Rot-Grün beschloss der deutsche Bundestag 2003 mit den Stimmen aller Fraktionen, außer denen der CDU/CSU, den Bau des Denkmals. Im Jahr 2006 wurden der prämierte Denkmalsentwurf der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine Stele die wie herübergelaufen vom Holocaustmahnmal wirkt ragt etwas verkrümmt aus der Erde. Deutlich sichtbar befindet sich in Augenhöhe an der vorderen Seite der Stele eine Öffnung, beim Herantreten sieht man einen Film zwei sich küssender Männer. Die Zeitschrift »emma« protestierte, denn der Diskriminierung und Verfolgung von Lesben während des Faschismus werde so nicht gedacht. Mit Recht verwiesen sie auf den Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 2003, der ausdrücklich auch die lesbischen Opfer einschloss. Dies mussten auch die zumeinst schwulen Historiker einsehen und stimmten einem Kompromiss zu. Der Film im Denkmal wird alle zwei Jahre ausgetauscht, der Bund finanziert zehn Jahre lang den Wettbewerb und die Jury. Diese solle nach zwei Jahren Mann-männlichen Küssens auch lesbische Liebe berücksichtigen.

Es ließe sich trefflich über die ästhetische Qualität des Denkmals streiten, aber schon jetzt ist ein Ziel des Denkmals erreicht, es provoziert. Dies bewies nicht zuletzt Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der die sich küssenden Männer auf den Einladungskarten zur Einweihungsfeier wegretuschieren ließ aus Pietät, wie es hieß. Wenn in zwei Jahren ein neuer Film am Denkmal präsentiert wird, wird Rudolf Bradza vielleicht nicht anwesend sein, aber seiner und der vielen andern wird weiter gedacht werden.