Zwischen Trauma und Trauer

geschrieben von Gerhard Hoffmann

5. September 2013

Ein Sammelband über Verratsvorwurf und Verrat in der
Arbeiterbewegung

Jan.-Feb. 2010

Simone Barck, Ulla Plener (Hrsg.): Verrat. Die Arbeiterbewegung zwischen Trauma und Trauer. Karl Dietz Verlag Berlin, 2009. 384 S., EUR 39,90

Die eher beschauliche Jahresendzeit ist vorbei, Bücher sind verschenkt, dennoch soll hier auf ein bemerkenswertes Buch aufmerksam gemacht werden. Im Karl Dietz Verlag Berlin erschien 2009, herausgegeben von Simone Barck und Ulla Plener, »Verrat. Die Arbeiterbewegung zwischen Trauma und Trauer«. Der Band enthält einunddreißig Beiträge zum Thema »Verrat? Fakten – Fiktionen – Folgen in der Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts«, die in den Jahren 2003, 2004, 2005 vom Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung erarbeitet wurden.

Eine der Herausgeberinnen, Ulla Plener schreibt einführend: »[…] Anliegen der Tagungen war es, zu einer auf Toleranz und gegenseitiger Achtung gründenden politischen Kultur Linker, das heißt an sozialer Gerechtigkeit, konsequenter Demokratie und dauerhaftem Frieden orientierter Kräfte beizutragen. In diesem Sinne wurde eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit einem zentralen, in der Arbeiterbewegung vielfach missbrauchten Begriff – seine größtenteils fiktiven Inhalte und seine für die Bewegung insgesamt und viele Tausende einzelner Menschenschicksale tragische Folgen – geführt […]«

Diesem hohen Anspruch werden die Beiträge überwiegend gerecht. »Der Missbrauch des Verratsvorwurfs in den politischen Auseinandersetzungen mahnt zur Vorsicht« [Jürgen Hofmann, S. 10] ist ein Satz, der von allen Autoren sachkundig belegt wird. Besonders der Umgang mit Verrat bzw. Verratsverdacht im antifaschistischen Widerstand mahne zu besonderer Sorgfalt. Harald Lange verweist in seinem Beitrag u a. darauf, dass der Schlachtruf »Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!« in der SPD spontan entstand und von der Tatsache ausging, dass der Führung Prinzipien wie Antimilitarismus, Fundamentalopposition und Klassenkampf nichts mehr galten.

Aufschlussreiche Fakten vermittelt Harald Jentsch in »Deutscher Oktober – 1923« und »Brandlerismus in der KPD«. Bestürzung ruft der Beitrag von Sergej Shuraljow »Der Verratsvorwurf gegenüber ausländischen Facharbeitern und Spezialisten in der Sowjetunion der 30er Jahre« hervor. Von der kommunistischen Idee und hoher proletarischer Moral geprägte Facharbeiter hatten sich der Unterstellung des Verrats zu erwehren, weil Kritik an der Sowjetunion als Verleumdung des Sozialismus galt.

Weitere erhellende und zugleich schwer belastende Beiträge, kollektive und Einzelschicksale sind zu lesen, hier aber aus Platzgründen nicht zu besprechen. Dass der Verratsvorwurf in der Arbeiterbewegung im Grunde bis in die 1990er Jahre zerstörend wirkte, ist eine überaus tragische Erkenntnis. Seit Mitte der 1920er Jahre bekämpften sich Kommunisten und Sozialdemokraten. Die einen waren die rotlackierten Nazis, Die anderen Verräter und Sozialfaschisten. Dieser Kampf hatte nicht zuletzt die Niederlage der Arbeiterklasse 1933 zur Folge. Schwer zu begreifen ist, dass trotz dieser bitteren Erfahrungen nach 1945 der Kampf verbissen fortgesetzt wurde.

Ein wichtiges Buch für jede und jeden, die Geschichte der Arbeiterbewegung zu verstehen versuchen und um Erklärungen für manche aktuelle Erscheinung ringen. Bedauerlich ist, dass dem ansprechend gestalteten Buch ein Personenregister fehlt.