Ein »aufgehörter Dichter«

5. September 2013

Von Gina Pietsch: Erinnerung an Kurt Tucholsky

Jan.-Feb. 2011

Die Sängerin und Schauspielerin Gina Pietsch unterrichtet Gesang und Interpretation an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Sie gilt als bedeutendste Brecht- Interpretin der Gegenwart. Von ihren mehr als 35 Soloabenden sind 16 zu Brecht, die weiteren basierend u. a. auf Texten von Bachmann, Braun, Fried, Gernhardt, Goethe, Heine, Kempner, Schrader, Theodorakis und solchen der Kabarett-Literatur. Gina Pietsch ist Mitglied der Berliner VVN-BdA und verantwortlich für deren monatlichen jour fixe.

www.ginapietsch.de

Drei Tage vor Heiligabend, am 21. Dezember 1935 war es, dass der kleine dicke Berliner, wie Erich Kästner ihn nannte, der mit der Schreibmaschine die Katastrophe aufhalten wollte, seinem Leben ein Ende setzte. Einen kleinen aufgehörten Dichter und aufgehörten Deutschen hatte er selber sich schon ein Dutzend Jahre zuvor genannt, schwer verständlich für uns, da er zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch ein wirklich erfolgreicher Dichter und Publizist war. Von Kurt Tucholsky ist die Rede, dessen Todestag nun 75 Jahre zurückliegt. Aber auch von Theobald Tiger, Peter Panter, Kaspar Hauser und Ignaz Wrobel, fünfen also insgesamt, die alle von einem Vater abstammen, vereint lieben und hassen, aber getrennt marschieren, also doch nur einem, der schrieb unter fünf Namen. Warum ihm sein eigener, Kurt Tucholsky, nicht reichte, darüber streitet man sich. Er selber begründet es rein pragmatisch, die »Weltbühne« schützend, seine Zeitung, für die er pro Nummer immer mehrere Artikel schreibt, was »tucholskylastig« hätte anmuten können. Sein Biograf Fritz Raddatz freilich spricht von biografisch begründeten Identitätsverlust-Anzeichen. Irgendwie ein Externer sei er immer gewesen, als Abiturient, als Doktorand, als Familienmitglied, als Liebender, als politischer Mensch, alles immer ein bisschen halb, in der Praxis jedenfalls, aber, um noch mal Raddatz zu zitieren Er ist ein großer Liebhaber von Ideen. Die Idee Frau, die Idee Sozialismus, die Idee Revolution. Und, zugegeben, nicht weniges in seiner Dichtung bestätigt das, seine wunderschönen Chansons »Sehnsucht nach der Sehnsucht« oder »Ideal und Wirklichkeit« zum Beispiel.

Apropos Chanson: es soll nicht gegen »Grips-holm« oder »Rheinsberg« oder die treffsicheren Wendriner- und Lottchen-Geschichten ausgespielt werden, auch nicht gegen die akribischen, genauen und visionären Zeitbeschreibungen in Publizistik und Gedicht. Auf allen Gebieten, aber hier besonders, hat er ganz Enormes geleistet, Witziges, Anrührendes, immer mit dem Finger auf den Wunden der Zeit, Hochkultur, sogar im Berliner Dialekt. Und dabei: »Die Mühe, die es macht, der deutschen Sprache ein Chanson – und noch gar eins für den Vortrag – abzuringen, ist umgekehrt proportional zur Geltung dieser Dinge.« So hören wir ihn und können‘ s kaum glauben, angesichts der scheinbaren Leichtigkeit, mit der diese Lieder uns begegnen, uns Lachtränen in die Augen treiben oder solche der Traurigkeit. Von den vielen tagespolitischen abgesehen, sind sie von großer Aktualität und weit mehr, als der Bänkelgesang der Großstadtliebe, auf den er im heutigen Kabarett gerne reduziert wird. Die Kultur fängt da an, wo die Bankdirektors aufhören: bei der tätigen radikalen Politik, die die Welt nach oben reißen will, sagt er 1926 und tut das am erfolgreichsten mit Satire, Satire, die nach seinem Verständnis immer auf Seiten der Opposition steht, unabhängig von Parteien, aber mit unendlichem Hass auf Krieg und Militarismus und Spießertum und Dummheit und Kadavergehorsam und Hundehalter und Bankdirektoren und, und, und… Wir kämpfen allerdings mit Hass. Aber wir kämpfen aus Liebe für die Unterdrückten, die nicht immer notwendigerweise Proletarier sein müssen. Und wir lieben in den Menschen den Gedanken an Menschlichkeit.

Einen Negativen nennt er sich und ist doch immer auf der Suche nach positiven Ideen, die in seiner Zeit schwer zu finden waren, angesichts von misslungener Revolution und in Windeseile aufkommender Restauration. Widerständig und widersprüchlich ist er. Widerständig, solange er seinen Ekel an der Zeit und an Deutschland noch im Griff hat, da kann er auch schreiben, kann 1934 prophetisch den Beginn des großen Krieges durch die Nazis auf fünf Jahre später voraussagen. Aber nach Hitler aus. Man kann nicht schreiben, wo man nur noch verachtet. Als widersprüchlich dürften das alle die empfunden haben, die von seiner Kunst Hilfe im Kampf gegen den Faschismus erwarteten, besonders, da er schon 1907 das Proletariat als wichtigen Adressaten der modernen Kunst ansah.

Aber widersprüchlich ist er immer. Alle seine Frauen wissen das, die Mutter, die Mary, die Gertrud, die Else, die Nuuna. Es waren immer mehrere, ähnlich wie bei Brecht, aber Brecht mochte die, die schreiben und denken konnten. Tucholsky weniger.

Viel und streitbar zitiert wurde Tucholskys Satz Soldaten sind Mörder. Wenn auch nicht bei der Etappe, sondern in der Schreibstube, war es doch seine Erfahrung und machte ihn zum Pazifisten. Wenn er den deutschen Militarismus beschreibt, dann so, dass man meint, jeder Soldat müsse nun sofort die Waffen weglegen. Freilich wird er am Ende seines kurzen Lebens auch das anzweifeln. Nichts als Pazifist sein – das ist ungefähr so, wie wenn ein Hautarzt sagt: ich bin gegen Pickel.

Liebenswert sind seine Zweifel und gelobt, wie Brecht das in einem großen Gedicht tut. Er aber hat sie wohl nicht aushalten können. Ich habe Erfolg, aber ich habe keinerlei Wirkung, sagt er von sich. Und da, spätestens, wollen wir ihm widersprechen.