Klare Konturen
5. September 2013
Der Spielfilm »Im Nebel« knüpft an die besten Traditionen
des sowjetischen Kinos an
Jan.-Feb. 2013
Im Nebel (U Tumanije), Belorussland/Russland/Lettland/Deutschland/Niederlande 2012, Regie: Sergej Loznitsa, Kamera: Oleg Mutu, Darsteller: Wladimir Swirski (Suschenija), Wladislaw Abaschin (Burow), Sergej Koleschow (Wojtik) u.a., 127 Minuten, Farbe, FSK: ab 12.
Um es gleich vorweg zu sagen: Dieser Film zeigt die Wahrheit, um die es zu gehen hat. Er zeigt sie deshalb, weil er in klaren Konturen die historischen Relationen gerade rückt, die eine unmissverständliche Beurteilung der Resultate des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg hervorrufen müssen.
»Im Nebel«, nach einer Novelle von Wassili Bykow, spielt im Herbst 1942 in der vom Deutschen Reich annektierten Belorussischen SSR, in der das Besatzungsregime offensichtlich für die Ewigkeit ausgerichtet wird. Am Anfang werden drei Partisanen hingerichtet, verbunden mit der Warnung an die übrige Bevölkerung, dass jeder Widerstand gegen Deutschland zwecklos ist und am Strang endet. Es stellt sich heraus, dass an dem Sabotageakt aber vier Partisanen beteiligt waren, einer also freigelassen wurde, was den in den umliegenden Wäldern versteckten Partisaneneinheiten natürlich nicht verborgen bleibt. Da sie nicht wissen können, aus welchen Motiven die Freilassung erfolgt ist, vermuten sie Verrat und schicken ein zweiköpfiges Exekutionskommando los. Der Konflikt entzündet sich exakt an der Stelle, an der die deutsche Herrschaftspolitik darüber verfügt, dass sich die Einheimischen gegenseitig verdächtigen und umbringen sollen, um ihre geschlossene Haltung gegenüber dem Aggressor aufzuspalten und Misstrauen zu säen.
Die Geschichte nimmt die Wendung der unerhörten Begebenheit, die allerdings im Krieg alles andere als unerhört ist. Der todgeweihte, von den Deutschen freigelassene Suschenija, wird von den Partisanen nicht erschossen, weil ein Feuergefecht mit belorussischen Hilfstruppen der deutschen Waffen-SS dazwischenkommt. Dafür trifft es dabei den Partisanen Burow, der so schwer verwundet wird, dass er später seinen Verletzungen erliegt. Suschenija erzählt dem sterbenden Burow, aus welch niederen Motiven er von den Deutschen laufen gelassen wurde, jedoch ist der zweite Partisan, Wojtik, bei diesem Gespräch abwesend. Um mit der Leiche Burows keine Spur zu legen, schleppt Suschenija den Toten durch den Wald, bewacht und beargwöhnt von Wojtik. Beim Passieren einer Hauptstraße bleibt Suschenija unversehrt, Wojtik allerdings wird von einer Hilfspolizeistreife aus Kollaborateuren erwischt und ebenfalls erschossen. Auf der anderen Seite der Straße, wieder im Wald, sitzt Suschenija im Schlussbild zwischen zwei Leichen, während der dichter werdende Nebel wie ein Vorhang das Schicksal der Drei zudeckt. Man hört noch einen letzten Schuss, sieht aber nicht mehr, wem der gilt – Ende der Darstellung.
Der Film hat eine Länge von 127 Minuten, in denen er sich ausführlich Zeit nimmt, sowohl die Intentionen der Figuren als auch ihr verkümmerndes Überleben in der Waldatmosphäre zu erhellen. Nicht nur die als Langsamkeit oft fehlinterpretierte Behutsamkeit der Handlungsentfaltung macht »Im Nebel« zu einem Beitrag in bester Tradition der sowjetischen Filmklassik. Analogien inhaltlicher Art gibt es vor allem zu Larissa Schepitkos »Aufstieg« (1977), gleichfalls nach einer literarischen Vorlage von Bykow, wobei freilich ein wesentlicher Unterschied darin besteht, dass die Hinrichtung von Partisanen und Unbeteiligten hier am Ende des Films steht und der Verrat des Überlebenden tatsächlich einer ist, wohingegen »Im Nebel« die Dialektik der Verratsstruktur stärker betont. In Umfeld, Härte der Partisanenbewegung und katastrophaler zivilisatorischer Zustandsbeschreibung ähnelt der Film außerdem »Geh und sieh« von Elem Klimow (1985), einigen Simonow-Verfilmungen und auch dem Frauen-Epos »Im Morgengrauen ist es noch still« (1972) von Stanislaw Rostozki, letzterem vor allem hinsichtlich der außergewöhnlichen Last, normale menschliche Bedürfnisse und Verhaltensweisen im Ausnahmezustand imperialistischer Fremdherrschaft aufrechterhalten zu wollen.
»Im Nebel« besticht erzählerisch dadurch, dass er eine klare Textur davon besitzt, aus welchen Gründen wer zu welchen Taten bereit ist, sie vollzieht oder verweigert. Weil er die Dienste als sogenannter »Hilfswilliger« ablehnt, wird Suschenija vom deutschen Ortskommandeur zum Tode durch die eigenen Kameraden verurteilt. Die belorussischen Kollaborateure verkörpern in der Handlung durchweg einen dermaßen verabscheuungswürdigen Herrschaftsapparat, was historischen Tatsachen Rechnung trägt und gegen den sich nicht umsonst die unerbittliche Feindschaft der Partisanen richtet. Formal hält der Film die eigenwillige Spannung zwischen lyrischen Passagen und kühler Distanz gegenüber zu starker emotionaler Überwältigung durch, was ihn insgesamt als realistisches Meisterwerk auszeichnet, dessen Existenz man im Zeitalter von Geschichtsrevisionismus und medialer Korruption nicht mehr für möglich erachtet hat.