2 056 985 Stimmen zu viel
28. November 2013
Die AfD, die Bundestagswahlen 2013 und der europäische Trend
Langweilig sei der Wahlkampf gewesen, Angela Merkel habe als Kanzlerin alles überstrahlt, so der Wahlnachlesetenor. Klar, dass die FDP wirklich rausfliegt aus dem Hohen Haus, damit hatten nur die wenigsten gerechnet; dass die AfD aus dem Stand so knapp scheitert, damit auch nicht.
Das Parteiensystem ist mächtig in Bewegung geraten, weil die Wählenden zunehmend volatil abstimmen. Dazu tragen bei: abnehmende Parteibindungen, neue Wettbewerber, die anhaltende Verunsicherung durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, Politik- und Parteienverdrossenheit, der fortgesetzte neoliberale Umbau der Gesellschaft und die Performance der Parteien. In Bewegung geraten heißt nicht nur, dass mit der FDP eine der wirklich alten Parteien der wirklich alten Bundesrepublik aus dem Bundestag flog und auch nicht nur, dass es mit der AfD eine neue und ernstzunehmende Herausforderung von rechts im Parteiensystem gibt. Es bedeutet auch, dass die Grünen ihre strategische Isolation zu durchbrechen suchen und sich auf neue Koalitionen mit der Union und der Linken (die ihrerseits ihre Machtoptionen diskutiert und prüft) einstellen. Mal sehen, was in Hessen für eine Landesregierung zustande kommt und was bei den kommenden Landtagswahlen 2014 im Sachsen, Thüringen und Brandenburg passiert. Der klassische Liberalismus – das jedenfalls scheint ein Ergebnis dieser Bundestagswahl – ist im Niedergang begriffen. Seine bürgerlichen Kräfte wenden sich anderen Parteien, in Deutschland hauptsächlich der Union, zu, seine emanzipatorischen Kräfte wechseln eher ins linksliberale oder grüne Milieu und Teile seines radikal wirtschaftsliberalen Flügels finden in der rechtspopulistischen wirtschaftsliberalen AfD eine neue Heimat.
Vor allem die Verschiebungen im rechten wirtschaftsliberalen Spektrum sind bemerkenswert, passen sie sich doch in einen europäischen Trend ein. In Österreich erzielen rechtspopulistische Parteien bei den Nationalratswahlen insgesamt über 30 Prozent der Stimmen, in Frankreich schickt sich der Front National an, in Umfragen stärkste Partei zu werden. Die »Wahren Finnen« gehen einen ähnlichen Weg. Gleiches gilt für die niederländische rechtspopulistische Freiheitspartei von Geert Wilders. Letzterer hat kürzlich angekündigt, für die Europawahlen 2014 ein Bündnis rechter Anti-Euro-Parteien zu bilden.
Und in Deutschland? In Deutschland wählten am 22. September 2013 2 056 985 Bürgerinnen und Bürger die eurokritische, wohlstandschauvinistische Alternative für Deutschland. 4,7 Prozent aller Wählerinnen und Wähler haben sich dafür entschieden, eine rechtspopulistische Antwort auf die Krise, auf den neoliberalen Umbau der Gesellschaft, auf die Politik- und Parteienverdrossenheit zu geben. Das reichte glücklicherweise (noch) nicht für den Einzug in den Bundestag. Aber die AfD ist professioneller aufgebaut als es die einstigen Überflieger, die Piraten, waren und mit viel Geld (woher stammt das eigentlich?) entwickelt und in den Wahlkampf geschickt worden. Die AfD, daran besteht kein Zweifel, wird zukünftig noch Erfolge erzielen.
Das Auftauchen der AfD und ihre finanzielle Ausstattung lassen einen Schluss zu: Innerhalb der ökonomischen Eliten in Deutschland scheint ein Konflikt zu schwelen. Bislang gab es keinen Zweifel an deren Europatreue, verdienten doch gerade sie an dem Entstehen eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, der durch die stärkste (also die deutsche) Volkswirtschaft dominiert wird. Nunmehr scheint jedoch mit der AfD ein offener Bruch innerhalb der neo-liberalen Eliten in ihren Einstellung zu Europa, der EU und dem Euro zutage zu treten.
Es sollte niemanden wundern, träte die AfD im Jahr 2014 in das Bündnis von Geert Wilders ein. Dort könnte sie ihren verkappten, nur mühsam hinter platten D-Mark-Forderungen verborgenen Kulturrelativismus ausleben, dort könnte sie ihrem unverhohlenen Sozialdarwinismus neoliberaler Prägung frönen und die Streichung von Sozialleistungen fordern, dort könnte sie Erwerbslosen drohen, ihnen das Wahlrecht abzuerkennen und ihren antidemokratischen Charakter im grauen Gewande kleinbürgerlicher Stammtisch-Piefigkeit offenbaren.
Noch grenzt sich die AfD-Führung gegen einen zu offen kommunizierten gesellschaftspolitischen Antiliberalismus in den eigenen Reihen ab. Über Anklänge an den in den rechtspopulistischen Parteien Europas grassierenden Ethnopluralismus und Kulturrelativismus geht man (derzeit) nicht hinaus. Noch wird der Stammtisch nicht allzu offensiv bedient mit Schlagworten zu Migration, Asylsuchenden und dem guten deutschen Geld. Es ist zu befürchten, dass dies spätestens mit der Kampagne zu den Wahlen zum Europäischen Parlament anders wird.