Ehrung für die VVN-BdA
28. November 2013
Hans-Frankenthal-Preis 2013
Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky, 17. Oktober 2013
Preisverleihung an die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist_innen VVN-BdA, Berlin
Laudatio: Dr. Detlef Garbe, Direktor der Gedenkstätte Neuengamme, Mitglied im Stiftungsrat
Sehr geehrte Gäste, liebe Freundinnen und Freunde.
Auch wenn in der öffentlichen Wahrnehmung dieser Tage zuweilen der Eindruck entsteht, als seien von Neonazis verübter Terror erst mit Bekanntwerden und Aufdeckung der Mordtaten des NSU, des Zwickauer Mordtrios und ihres weit verzweigten, bis in die NPD hinein reichenden Unterstützerumfeldes, vor zwei Jahren im November 2011 in der Welt, so wissen wir alle, die wir heute Abend zur Verleihung des Hans-Frankenthal-Preises 2013 zusammen gekommen sind, dass rechter Terrorismus auch nach der Niederringung des nationalsozialistischen Deutschlands und der Befreiung von der Gewaltherrschaft des NS-Regimes die Geschichte unseres Landes, und nicht nur unseres Landes durchzieht. Terrorismus ist mitnichten identisch mit den Taten der Roten Armee Fraktion, mit dem Deutschen Herbst des Jahres 1977 oder den spektakulären Al-Kaida-Anschlägen vom 11. September 2011. Die Taten des rechten Terrorismus sind in der öffentlichen Wahrnehmung weniger präsent, doch die meisten von uns werden sich noch genau erinnern an dem Anschlag beim Münchner Oktoberfest am 16. September 1980, bei dem 13 Menschen bei einer Explosion einer Bombe starben, die Gundolf Köhler, ein Neonazi mit Verbindungen zur paramilitärischen Wehrsportgruppe Hoffmann, zündete. Ich war an dem Tag zufällig in München und werde nie vergessen, wie die Meldungen im Bayerischen Rundfunk bei der Tat wie selbstverständlich zunächst linke Bombenleger am Werke sahen. Nur einen Monat zuvor, am 20. August 1980, starben hier in Hamburg zwei Flüchtlinge aus Vietnam bei einem Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Billbrook. Wegen Anstiftung zu dieser Tat und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung wurde der neonazistische Rechtsanwalt Manfred Röder später zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. 1990 folgte seine vorzeitige Haftentlassung wegen – wie es hieß – guter Führung und günstiger Sozialprognose.
Nach der deutschen Vereinigung stieg die Zahl der Opfer weiter an. In den 20 Jahren von 1990 bis 2010 haben nach Recherchen der „Zeit“ mindestens 137 Menschen ihr Leben durch Angriffe rechtsextremer Täter verloren. Und die zehn Mordopfer der NSU sind in dieser erschreckend hohen Zahl noch gar nicht einbezogen, weil die Taten ja damals noch anderen Zusammenhängen zugeschrieben wurden.
Natürlich wird in den Medien auch über rechtsradikale Gewalttaten, zum Beispiel über Schändungen von Gedenkstätten, oft ausführlich und gut berichtet, doch gleichwohl ist dieser Terrorismus im öffentlichen Bewusstsein weit weniger gegenwärtig. Als vor fünf Jahren, am 13. Dezember 2008, der Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl von einem Neonazi vor seiner Wohnung niedergestochen wurde, war dies kurz in den Schlagzeilen, doch stelle man sich vor, der Täter hätte anderen politischen Zusammenhängen bzw. einer ethnischen Minderheit angehört oder es wäre jemand mit Migrationshintergrund gewesen. Ich denke, dass die Wahrnehmung eine andere gewesen wäre.
Den Neonazismus zum Thema zu machen, Nachrichten zu sammeln, zu recherchieren und öffentlich aufzuklären, ist das Verdienst der Preisträger, die am heutigen Abend den Hans Frankenthal-Preis für ihr Engagement verliehen bekommen. Seit annähernd drei Jahrzehnten organisiert der Arbeitsbereich Neofaschismus in der VVN-BdA, der einst unter anderem von dem unvergessenen Hamburger Landesvorsitzenden Helmut Stein initiiert wurde, Wanderausstellungen zum Thema. Die erste Fassung der Wanderausstellung „Neofaschismus in Deutschland“ erschien 1985, seit Mai 2010 ist die inzwischen fünfte Fassung in zahlreichen deutschen Städten zu sehen. Die Nachfrage ist erfreulicherweise so groß, dass es die Ausstellung in mehr als 10 Exemplaren gibt, um sie an mehreren Orten zeitgleich zeigen zu können. Allein diese fünfte Fassung wurde in den drei Jahren ihres Bestehens schon 170-mal ausgestellt. Ein enormer Erfolg, der sich neben der Prägnanz und der didaktischen Anschaulichkeit auch dem Umstand verdankt, dass hier eine Ausstellung und ihre Begleitmaterialien so passgerecht produziert wurden, dass Verleih und Aufbau weitgehend unkompliziert bewerkstelligt werden können.
Derzeit arbeitet eine Gruppe um Dr. Axel Holz und Thomas Willms an einer neuen Version, die nicht nur erneut Dokumente und Fotos durch aktuellere ersetzt und Aspekte wie Rechtspopulismus, V-Männer und Terrorismus stärker betont. Erstmals sollen nun auch die Möglichkeiten der neuen Medien verstärkt genutzt werden. So soll eine „App“, also eine Anwendung für die heute als Handys und Alleskönner üblichen Smartphones, angeboten werden, über die beim Ausstellungsrundgang im Rahmen einer Audioführung vertiefende Informationen und Tondokumente abgerufen werden können. Die Jury zur Verleihung des Hans Frankenthal-Preises hat sich auch deshalb für dieses Projekt entschieden, weil sie den Ansatz, mit der Ausstellung gezielt junge Menschen zu erreichen und sie über den Neofaschismus und seine Hintergründe aufzuklären, unterstützen möchte. Die Jury wurde in ihrer Entscheidungsfindung auch dadurch bestärkt, dass Steffi Wittenberg, die bei uns in Hamburg den Kampf gegen Neofaschismus und Antisemitismus und für die Rechte von Flüchtlingen mit einer bewundernswerten Kraft und Ausdauer führt, im Begutachtungsverfahren sehr überzeugende Argumente benennen konnte. Wir hoffen, dass über das Preisgeld hinaus auch eine verstärkte Publizität über dieses wichtige Vorhaben dazu beiträgt, dass die Finanzierung der neuen Ausstellung gesichert werden kann.
Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt hinweisen: Eine Auszeichnung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist_innen ist zugleich ein politisches Symbol. Anders als im europäischen Ausland, wo die aus dem deutschen Widerstand gegen das Naziregime hervor gegangene Organisation und ihre Repräsentanten vielfach hoch geehrt wurden, dürfte die VVN-BdA in ihrer 65-jährigen Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland nicht sehr häufig Preise und Auszeichnungen für ihre Arbeit erhalten haben. Der VVN-BdA als größter Organisation der Verfolgten des NS-Regimes, der Widerstandskämpfer, der Hinterbliebenen und seit vielen Jahren ehrenamtlich auf dem Gebiet der Erinnerungsarbeit Tätigen wurden derartige Würdigungen für ihre Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit in aller Regel durch Staat und Gesellschaft bis in die Gegenwart hinein verweigert. Hier dürften immer noch die Frontlinien des Kalten Krieges nachwirken.
Erinnern wir uns. Im Zuge eines geistigen Klimas, dass in den 1950er-Jahren im Zuge von Restauration, Antikommunismus und Remilitarisierung den großen Frieden mit den einstigen Funktionseliten des Hitlerregimes suchte, gerieten nach der Teilung und der Eingliederung der beiden Deutschlands in die großen von der USA einerseits und der Sowjetunion andererseits dominierten Blöcke auch die in der VVN organisierten ehemals politisch Verfolgten ins Visier des Staatsschutzes und der neu gegründeten Geheimdienste. Es gab in dieser Zeit nicht nur die politische Verfolgung von Angehörigen der Jungen Gemeinde, von Zeugen Jehovas und von Sozialdemokraten in der DDR, es gab auch im Westen politische Verfolgungsmaßnahmen, die sich in erster Linie gegen Kommunisten richteten, die in der VVN organisiert waren, weil sie sich am kommunistischen Widerstand beteiligt hatten und deshalb verfolgt worden waren. Als die Bundesregierung sich 1951 anschickte, die VVN zu verbieten, griffen Rheinland-Pfalz und Hamburg zur Tat. Während in diesen beiden Bundesländern die VVN verboten wurde, folgten andere Bundesländern dem nicht. Es gehört zu den bemerkenswerten Kuriositäten der frühen Geschichte der Bundesrepublik, dass in Bayern der VVN verwaltungsgerichtlich die Verfassungskonformität zugesprochen und über den Arbeitsausschuss der Bayerischen Verfolgtenverbände sogar indirekt weiterhin (in geringem Umfang) staatliche Förderung erhielt, während sie hier, in dieser sich ihrer Liberalität rühmenden Stadt, verboten blieb, bis nach der Neugründung als „Vereinigte Arbeitsgemeinschaft der Naziverfolgten“ in Hamburg 1961 nach und nach die staatliche Repression abnahm.
Und wir reden hier nicht nur über lange zurückliegende Zeiten. Bis zum Jahr 2005 wurde im Verfassungsschutzbericht des Bundes die VVN-BdA unter der Rubrik „linksextremistische Bestrebungen“ geführt. Und noch heute ist die Organisation, die wir heute mit dem Preis der Stiftung Auschwitz-Komitee ehren, in den Berichten einzelner Landesverfassungsschutzämter zu finden. Das ist nicht hinnehmbar und gehört geändert.
In Zeiten, in denen uns durch Historikerkommissionen zur Aufarbeitung der Geschichte der Bundesministerien, des Bundeskriminalamtes und des Bundesnachrichtendienstes noch einmal aus den Akten veranschaulicht wird, wie stark die Bundesrepublik in ihrer Frühzeit durch ehemalige Nationalsozialisten geprägt wurde, sollte man sich bewusst machen, dass es hier keine einfache Betrachtung gibt. Für jene Zeit ist es fürwahr nicht so leicht mit den Maßstäben für demokratisches Denken und Handeln. Denn die Frontlinien im Kalten Krieg verliefen nicht gerade.
25 Minister, ein Bundespräsident und ein Bundeskanzler der Bundesrepublik waren ehemalige Mitglieder in NS-Organisationen. Im Bundesfinanzministerium war die Hälfte aller Staatssekretäre, Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter in den 1950er-Jahren ehemalige Parteigenossen der NSDAP. Beim Bundesgerichtshof, der höchsten Instanz im Straf- und im Zivilrecht, lag 1953 der Anteil NS-belasteter Richter bei 72 Prozent, bis 1956 stieg er auf 79 Prozent, in den Strafsenaten lag er noch 1962 bei 80 Prozent.
Beim Bundeskriminalamt war es noch gravierender. Ehemalige SS-Offiziere besetzten zeitweise mehr als zwei Drittel aller leitenden Positionen. Kurzum: In den frühen Jahren der Bundesrepublik herrschten gesellschaftliche Bedingungen, in denen heutige Maßstäbe nur schwer anlegbar sind.
Diese einstigen Helfer und Vollstrecker des Hitlerregimes erkannten – was nicht überraschen kann –in der VVN und ihrem Wachhalten der Erinnerung eine Gefahr und nahmen die Kommunistenjagd erneut auf. Dass sie dafür im neuen demokratischen Staat Rückhalt fanden und Rückenwind erhielten, verdankten sie dem Umstand, dass auch ihre unbelasteten Kollegen und die neuen politischen Entscheidungsträger unter den Bedingungen des Kalten Krieges dem Kampf gegen die „rote Gefahr“ eine höhere Priorität einräumten als einer konsequenten Aufarbeitung der braunen Vergangenheit. Trotz der verheerenden Erfahrung des Nationalsozialismus blieb auch der neue demokratische Staat wie in Weimarer Zeiten weiterhin auf dem rechten Auge blind.
Auch wenn zweifelsohne innerhalb der VVN in ihrer langen Geschichte manche Irrwege beschritten wurden, der Einfluss der DKP offenkundig war und nicht zuletzt die verheimlichten jahrzehntelangen Zuwendungen aus der DDR, die nach 1989 publik wurden, zu Zerwürfnissen führten und weiterhin ein schweres Erbe darstellen, so bedeutet die ungebrochene Nennung der VVN in Verfassungsschutzberichten altes Denken in den Kategorien des Kalten Krieges und eine Negierung der in den letzten Jahrzehnten vollzogenen innerverbandlichen Veränderungen.
Die VVN stellt sich heute ihrer Geschichte, sie stellt sich auch schwierigen und sehr schmerzhaften Fragen. In den letzten Jahren wurde – um hier ein Beispiel zu nennen – eine intensive Aufarbeitung der Geschichte von jenen mehreren Tausend deutscher Antifaschisten vorangetrieben, die Opfer der stalinistischen Verfolgung in der Sowjetunion wurden. Zu Recht stellte die Tagung „Das verordnete Schweigen“, die im Juni 2010 im Berlin durchgeführt wurde, fest: „Dass gegenwärtig die Gleichsetzung von Nazis und Antifaschisten, von NS-Regime und DDR und Kommunismus besonders eifrig betrieben wird, darf uns nicht daran hindern, uns mit »weißen Flecken« und unangenehmen Themen selbständig und durchaus offensiv auseinanderzusetzen.“ (antifa 7-8/2010, Seite 6)
Die Stigmatisierung dieser Organisation als extremistisch, ihre Überwachung durch die Verfassungsschutzämter, die andererseits nicht nur beim Terrorismus des NSU versagt haben, ist anachronistisch. Wer heute noch die VVN-BdA politisch auszugrenzen versucht, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht eher auf das unbequeme heutige politische Engagement zielt, das sich im Kampf gegen den Neofaschismus gerade auch um unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat verdient macht und mithin echten, konstruktiven Verfassungsschutz darstellt. Die 2007 gestartete Kampagne der VVN-BdA zum NPD-Verbot, ihre entschlossene Gegenwehr zur Verhinderung von Nazidemonstrationen, ihre Bündnisbreite und ihre Offenheit auch für unkonventionelle Protestformen der jungen Antifa lassen in Behörden und im Parteienspektrum jene nach Ausgrenzung verlangen, die im Unterschied zu großen Teilen der VVN-BdA noch im alten Denken verhaftet sind. Erfreulicherweise findet dies im Land und in den Städten, in denen sich in den letzten Jahren in großer Zahl Bündnisse gegen rechts gebildet haben, wenig Anklang, denn nicht selten sind dort – wie bei uns in Hamburg-Bergedorf – die Rathausparteien CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke mit der VVN-BdA gemeinsam vertreten.
Es ist gut und richtig, dass diese Organisation und ihre Ausstellungen über den Neofaschismus in Deutschland heute geehrt werden. Und ich wünsche der VVN-BdA, dass sie auch nach 65 Jahren nicht in Rente geht, denn wir, denn unser Land braucht diese wichtige mahnende Stimme.