Dolch unter der Juristenrobe
12. November 2014
Ingo Müller hat eine furchtbare Juristengeschichte vorgelegt
Das ist schon ein beachtenswerter Beitrag, den der Bremer Rechtswissenschaftler Ingo Müller mit seinem, nun in zweiter erweiterter Auflage erschienenen Buch »Furchtbare Juristen« vorgelegt hat. Müller behandelt das Thema am Beispiel der deutschen Justiz und ihrer über die Jahrzehnte hinweg stets »auf Linie« gebliebenen Rechtsprechung, »Rechtssprechung« wäre auch treffend. Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird die Vorgeschichte der deutschen Justiz bis zur Installierung des faschistischen Herrschaftssystems behandelt. Der umfangreichere zweite Teil widmet sich den Jahren von 1933 bis 1945, jenen Jahren also, in denen sich deutsche Richter, Staatsanwälte und Fachgelehrte mit all ihrem reaktionären, nationalistischen, antikommunistischen und antisemitischen Erbgut austoben konnten. Da war sie das, was der spätere Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, zu Beginn des Aggressionskrieges gefordert hatte: Die Justiz müsse zum schlagkräftigen »Armeekorps der inneren Front« umgestaltet werden. Folgerichtig führte das zu einer Rechtsprechung, die im Urteil des vom 4. Januar bis 4. Dezember 1947 dauernden Juristenprozesses vor dem Nürnberger Militärgerichtshof in den Satz zusammen gefasst wurde: »Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen.«
Mit einer Fülle von Urteilen des »Volksgerichtshofes«, der Sonder- und Standgerichte gegen Widerständler, »Rassenschänder« oder »Volksschädlinge« belegt Müller die militante Justizpraxis, die ihren Auftrag in der »Reinigung der Gemeinschaft von minderwertigen Menschen« hatte und erfüllte. Vor deutschen Gerichten fanden die »Dolchträger«, sofern überhaupt einmal ein Ermittlungsverfahren gegen einen eingeleitet wurde, volles Verständnis (»Die Gesetze waren halt so«) oder die Herren amnestierten sich gegenseitig. Dieser Abschnitt ist hier im dritten Teil unter »Die Fortsetzung« abgehandelt. Das zielt auf die fast nahtlose Fortsetzung der Richtertätigkeit nach 1945 und die großzügige Pensionsregelung für die nicht verwendbaren Juristen. Unter Verweis auf das »Grundprinzip der wertfreien Sozialversicherung« profitierten davon auch die im Nürnberger Prozess Verurteilten. Selbst als Kriegsverbrecher Abgeurteilte bekamen ihre Haftzeit als »Ersatzzeit nach dem Angestelltenversicherungsgesetz« vergütet Opfer des Faschismus, so schildert Müller, wurden weniger großherzig behandelt. Dem Sozialdemokraten Georg Bock etwa, der aus Protest gegen den Überfall auf Polen seinen Einberufungsbefehl zerrissen hatte und dafür zu 3,5 Jahren Zuchthaus und später, wegen seiner Weigerung Minen zu verlegen. noch einmal zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt worden war, verweigerte der Bundesgerichtshof in letzter Instanz eine Haftentschädigung. Möglicherweise, so befanden die mit der NS-Wehrmacht empfinden Richter, habe er durch seine Tat die »deutsche Wehrmacht in Gefahr« gebracht. Und nicht wenige, die nach dem 8. Mai 1945 von auch in Gefangenenlagern weiter existierenden Militärgerichten wegen Desertion verurteilt waren, mußten später vor Nachkriegsgerichten erfahren, dass sie durch ihr Verhalten die Front in Gefahr gebracht hätten. War ein Opfer des Faschismus in den Hochjahren der Kommunistenverfolgung nach dem KPD-Verbot von 1956 wegen Zuwiderhandlung in die Fänge der »furchtbaren Juristen« geraten, gab es kein Pardon. Das alte Feindbild war noch immer gegenwärtig. Zur Gefängnishaft kam noch die Aberkennung der Wiedergutmachung und die Forderung auf Rückzahlung der bis dahin erhaltenen Beträge. Exemplarisch ist der »Fall« Heinz Renner. Der ehemalige KPD-Bundestagsabgeordnete war noch gar nicht verurteilt, da hatte er schon die Aufforderung, Entschädigungsleistungen in Höhe von 27.000 DM zurück zu zahlen. Müllers »Furchtbare Juristen« gehen unter die Haut. Manche der hier geschilderten Fälle sind kaum fassbar. Nur: Es ist geschehen und soll nicht vergessen sein. Fazit Müller: »Die deutschen Juristen hatten in der Welt nicht ihres gleichen.«