Gemeinsam aller Opfer gedacht
10. Juli 2015
»Zeitenwechsel« in der Erinnerungspolitik in Regensburg
Was im Ritual erstarrt war, kam in Bewegung. 70 Jahre nach Kriegsende vollzog sich in Regensburg ein Zeitenwechsel in der Erinnerungspolitik. Zum ersten Mal fanden sich linke und konservativ-religiöse Gruppierungen zum gemeinsamen Gedenken an die Opfer des Faschismus zusammen. Die letzten Zeitzeugen waren dabei. Staunten und waren gerührt.
Den Wandel des Gedenkens machte schon das Transparent deutlich, das am 23. April vom Oberbürgermeister, flankiert von den Initiatoren der bisherigen zwei Gedenkveranstaltungen, durch die Stadt getragen wurde: »Im Gedenken an die Opfer: Bleibt wachsam!« Schulter an Schulter gingen da die Bischöfe Rudolf Voderholzer und Hans-Martin Weiss, OB Joachim Wolbergs, Ilse Danziger von der Jüdischen Gemeinde, Luise Guttmann (VVN), Christian Dietl (DGB) und Hans Simon-Pelanda (ARGE ehemaliges KZ Flossenbürg).
Mit vielen bunten Fahnen, Transparenten und Spruchbändern folgten ihnen ein buntes Volk engagierter Zivilgesellschaft, politische Gruppierungen und Stadträte. 600 waren es mindestens. Dabei lernten die Regensburger zweierlei: Auch für Bischöfe gibt es ein Demo-Habit und die CSU macht beim gemeinsamen Gedenkweg nicht mit. Was viele nicht verwunderte, denn der dumpfe Antikommunismus, der jahrzehntelang das Gedenken und die Opfer sortierte, ist in Bayern nicht überwunden. Bis heute wird die VVN in Bayern alljährlich vom CSU-Innenminister als »linksextremistisch beeinflusst« abgestempelt.
In Regensburg scherte das den neu gewählten SPD-Oberbürgermeister Joachim Wolbergs wenig. Er war schon als junges »Falken«-Mitglied beim VVN-Gedenkweg dabei und nach der Kommunalwahl bat er die Akteure beider Lager zum »Runden Tisch«, um den Weg für ein gemeinsames Gedenken auszuloten. Quasi als neutrale Instanz bot er die Stadt als Veranstalter und sich als Schirmherr an.
Eine Garantie dafür, dass aus dem »zweierlei« Gedenken ein gemeinsames Erinnern wird, war das noch lange nicht. Obwohl es nicht wenige Akteure gab, die auf Gemeinsamkeit drängten. Voran die Jüdische Gemeinde mit Rabbiner Josef Chaim Bloch und der Vorsitzenden Ilse Danziger, die beim Gedenkweg der bunten Truppe um die VVN ebenso dabei waren wie am nächsten Tag beim offiziellen kirchlich-städtischen Gedenken. Vor diesem Hintergrund fügte es sich, dass fortan im jüdischen Gemeindehaus Akteure beider Gruppen zusammen kamen, um inhaltlich neu zu gestalten, was jahrzehntelang getrennt verlief.
Für beide Seiten begann ein Lernprozess und erfahrbar wurde, dass die Erinnerungskultur an den 23. und 24. April 1945 in Regensburg jeweils von den Milieus geprägt ist, in denen das Erinnern an die Opfer organisiert und gepflegt wurde. Im Mittelpunkt des Gedenkens stand für die VVN und ihre Bündnispartner stets das Gedenken an den Todesmarsch der 400 KZ-Gefangenen im Außenlager Colosseum in der Nacht zum 23. April 1945. An diesem historischen Datum orientierte sich seit Jahren der Gedenkweg, der über die Steinerne Brücke in die Stadt führt. Mancher Redner vergaß im Eifer der Tagespolitik die Opfer und schlug einen kühnen Bogen zur Kapitalismuskritik und den Nebenwirkungen für bedrohte Minderheiten.
Das katholisch-konservative Lager, das am nächsten Tag das Gedenken an den Domprediger Johann Maier zelebrierte, distanzierte sich da. Der deutlich religiöse Akzent bei diesem Gedenken an den Geistlichen, den die Nazis ermordet hatten, weil er sich für die kampflose Übergabe der Stadt an die Alliierten eingesetzt hatte, verschreckte wiederum einen Teil der säkularen Stadtgesellschaft, die fernblieb.
Zur großen Zufriedenheit aller Beteiligten verlief nun die Premiere des ersten gemeinsamen Gedenkens an die Nazi-Opfer. Seinen Anfang nahm der traditionelle Weg durch die Stadt wieder über die Steinerne Brücke. Oberbürgermeister Wolbergs hatte eröffnet, Zeitzeugen berichteten über das, was ihnen damals widerfahren war und zum ersten Mal führte der Zug des Gedenkens zum Westportal des Doms. Sachlich, ohne Arabesken und Weihrauch, berichtete Bischof Voderholzer, wie das damals war, als am 23. April 1945 der Domprediger Johann Maier, der Polizeibeamte Michael Lottner und der Lagerarbeiter Josef Zirkel den Protest von einigen hundert Frauen gegen weitere Kampfhandlungen unterstützten und dafür von den Nazis ermordet wurden.
Unter den antifaschistischen Gruppen gab es auch Gegner der neuen Gemeinsamkeit mit Bischöfen und Stadtoffiziellen. Deren Protest blieb moderat, sichtbar aber leise. »Verkraftbar«, befand die Nachlese mit vielen zufriedenen Gesichtern und der Bereitschaft, im nächsten Jahr das Begonnene fortzusetzen.