Meldungen
10. Juli 2015
Anstieg von Gewalt
Die Zahl der »rechtsmotivierten Gewalttaten« ist 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 23,6 auf 990 gestiegen. Das sind im Durchschnitt täglich fast drei Gewalttaten. Am stärksten gestiegen ist die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Sie hat sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdreifacht: von 55 auf 175. Diese Zahlen enthält der Bundes-Verfassungsschutzbericht 2014. In dessen Statistik werden nur Straftaten erfasst, die behördlicherseits als »rechts motiviert« klassifiziert wurden. Im 1.Halbjahr 2015 sind bereits 150 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte erfolgt.
Beiträge zur Gewalt
In den ostdeutschen Bundesländern und Berlin registrierten die dort tätigen Opferberatungsstellen für 2014 insgesamt 782 rassistisch motivierte Gewalttaten. Dabei wurden mindestens 1.156 Personen verletzt oder massiv bedroht. »Ein Ende der Welle rassistischer Gewalt ist nicht absehbar«, erklärte die Sprecherin der Beratungsstellen, Antja Arndt. Wesentlich dazu beitragen haben die Umtriebe der Pegida und immer wieder auch entsprechende Äußerungen von Politikern, wie die vom »Asylmissbrauch« (CSU-Chef Seehofer), »härterem Vorgehen« gegen die, »die unsere Solidarität ausnutzen« (Frank Kupfer, Fraktionschef der CDU in Sachsen) oder vom »ins Gefängnis« werfen, »wer keine Papiere hat« (Alexander Krauß, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion).
NSU-Untersuchungen
Näheres über die Mordtaten des NSU und das Ausmaß der Verstrickungen des Verfassungsschutzes mit seinen V-Leuten liegt nach wie vor im Dunklen. Behindert wird die Aufklärung insbesondere von Verfassungsschützern und Kriminalbeamten, die sich auf Erinnerungslücken oder Geheimschutzbedürfnisse berufen. Das Verhalten solcher Zeugen z.B. im Münchner NSU-Prozess beschrieb die »Frankfurter Rundschau« als »filmreife Patzigkeit«. Zuweilen kommen dennoch Dinge ans Licht, die immer wieder darauf hinweisen, dass es sich beim Neonaziterror um weit mehr handelt, als um eine Gruppe von nur drei Tätern. So äußerte der ehemalige FDP-Obmann im Bundestags-Untersuchungsausschuss, Hartfried Wolff, vor dem hessischen Untersuchungsausschuss »erhebliche Zweifel an der Einzeltätertheorie«; es gebe »sehr viele Indizien, die auf ein bundesweit agierendes rechtsextremes Netzwerk hindeuteten« (FAZ, 16.6.15). Im erneut eingesetzten Thüringer Untersuchungsausschuss kamen Ungereimtheiten bei den Vorgängen am Tag des Todes von Böhnhardt und Mundlos zur Sprache, die ungeklärt blieben. Immer wieder stoßen Untersucher auf dunkle Punkte wie z.B. diesen: Nach der Mordtat in Kassel trafen sich der am Tatort anwesende Verfassungsschützer Temme mit seiner VS-Dezernatsleiterin Pilling an einer Autobahnraststätte. »Was zwischen den beiden dort besprochen wurde, ist bis heute ungeklärt« (FR, 18.6.15). Nach Einschätzung des hessischen Abgeordneten Hermann Schaus »steht im Raum, dass Andreas Temme und der Geheimdienst wissentlich und willentlich falsche Aussagen vor Gerichten und Parlamenten gemacht haben« (PM vom 17.6.15).
Hetze und Brandsätze
Allein in der zweiten Junihälfte sind mehrere Angriffe und Brandanschläge auf fertige oder im Bau befindliche Asylbewerberunterkünfte erfolgt, darunter Brandstiftungen in Lübeck und Meißen. In Freital bei Dresden finden seit März jede Woche und inzwischen fast täglich bedrohliche Hetz- und Hasskundgebungen vor einer Flüchtlingsunterkunft statt. Zu den Aufrufern gehört Pegida-Anführer Bachmann. Direkte Gewalt gegen die Flüchtlinge verhinderten bis dahin nur die Gegendemonstranten zum Schutze der Flüchtlinge und ein Polizeiaufgebot. Nach bundesweiten Medienberichten über die Vorgänge in Freital tauchten auch Landespolitiker auf. Eine Ursachenbekämpfung steht jedoch weiter aus.
NPD-Verbotsverfahren
Für das NPD-Verbotsverfahren wurde dem Bundesverfassungsgericht von den Bundesländern neues Beweismaterial zugeleitet. Dieses erhält nunmehr die NPD zur Stellungnahme.
Das Verfassungsgericht wurde auf dessen Verlangen von den Ländern ebenso über die Abschaltung der V-Leute in den NPD-Führungsgremien informiert. Nach Medienberichten waren elf NPD-Bundes- oder Landesvorstandsmitglieder vom Verfassungsschutz als V-Leute beschäftigt. Ein Termin für den Prozessbeginn ist noch nicht bekannt.
Keine Prozesse
Trotz seiner Zugehörigkeit zum Kommando der SS-Division »Der Führer«, das im Juni 1944 den Massenmord an der Bevölkerung des französischen Dorfes Oradour-sur-Glane (dem »schlimmsten Massaker der SS in Westeuropa«, FAZ 10.6.15) verübte, bleibt der ehemalige SS-Angehörige Werner Christukrat straffrei, weil nach Ansicht des Oberlandesgerichts Köln keine konkreten Mordbeweise vorliegen würden. Das OLG bezieht sich damit auf die früher übliche bundesdeutsche Praxis, dass jeder Mord im Einzelnen konkret nachgewiesen werden müsse. In anderen heutigen Gerichtsverfahren wird inzwischen der Grundsatz angewandt, dass jeder Angehörige einer Einheit, die einen Massenmord verübt, der Beihilfe zum Mord schuldig ist. Eingestellt wurde das Verfahren gegen einen SS-Kompanieführer beim Massaker von Sant’Anna di Stazzema in der italienischen Toskana, bei dem 560 Zivilisten, darunter etwa hundert Kinder, umgebracht wurden. Der SS-Führer sei wegen Altersdemenz dauerhaft verhandlungsunfähig. Ebenfalls wegen Altersdemenz lehnte das Landgericht in Neubrandenburg die Eröffnung eines Prozesses gegen einen ehemaligen Auschwitz-KZ-Sanitäter ab. Für die etwa sechswöchige Untersuchungshaft erhält er eine Entschädigung.
Doppelt so viel
Die Zahl der Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 ist in Brandenburg doppelt so hoch als bisher angegeben. Das ergeben Recherchen einer unabhängigen Expertenkommission. Der Auftrag dazu wurde 2013 von der Landesregierung erteilt. Bislang wurden vom Bundeskriminalamt für Brandenburg neun Todesfälle rechtsextremer und rassistischer Gewalt dokumentiert. Die Kommission fand bei der Untersuchung umstrittener Altfälle heraus, dass es in Brandenburg mindestens 18 solcher Todesfälle gibt. Die Zahl der von den Behörden bundesweit anerkannten Todesfällen rechter Gewalt seit 1990 liegt derzeit bei 64. Recherchen von Medien und Beratungsstellen kommen auf mindestens 153 Getötete. Von mehreren Seiten wird daher gefordert, bundesweit unabhängige Experten mit der Überprüfung aller Altfälle zu beauftragen.
Nach 70 Jahren
Rund 4.000 überhaupt noch lebende ehemalige sowjetische Kriegsgefangene erhalten nach 70 Jahren eine symbolische Entschädigung in Höhe von 2.500 Euro für erlittenes Unrecht. Durch brutalste Behandlung verlor etwa die Hälfte der über fünf Millionen sowjetischen Gefangenen in den deutschen Lagern das Leben. Die Gräuel, die an den russischen Gefangenen verübt wurden, seien »eines der größten Verbrechen« des Zweiten Weltkrieges gewesen, erklärte Bundespräsident Gauck.
(Zusammengestellt von P.C. Walther)