Neue Forschungsparadigmen

geschrieben von Nils Becker

10. Juli 2015

Alte Fragen zur Zivilklausel, die immer wieder neu beantwortet werden müssen.

 

»Lernen und Forschen für den Frieden« – diese Leitidee passt so gar nicht in die heutigen Diskussionen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die sich vor allem um Wettbewerbsfähigkeit und Fachkräftenachwuchs drehen. Doch während die Bundesregierung die »Digitale Agenda« ausgerufen hat und die hiesige Wissenschaft für den globalen »Innovationswettbewerb« (1) zurechtstutzt, geraten in der Öffentlichkeit schnell die tatsächlichen Forschungsinhalte aus dem Blick. Denn Rüstungsforschung, die Entwicklung »intelligenter« Waffen und kriegsrelevante Sozialwissenschaften gehören genauso zum Portfolio des Forschungsstandorts Deutschlands wie Klima- und Nachhaltigkeitsforschung. Seit 2010 hat das Verteidigungsministerium mehr als 700 Forschungsaufträge vergeben. Mindestens 41 Hochschulen waren an diesen Aufträgen beteiligt. Zur finanziellen Dauermisere der Universitäten, gesellen sich also auch grundsätzliche Fragestellungen: Was wollen wir wissen? Für welche Gesellschaft forschen wir? Welche Position nehmen wir im Zweifel ein?

Die Quartalszeitschrift W&F wird von einem Trägerkreis aus friedenspolitischen Initiativen und Instituten schon seit 1983 herausgegeben. Die Herausgeber sehen die W&F als Scharnier zwischen Friedensforschung, Friedensbewegung und Öffentlichkeit, um gemeinsam Entwicklungen in den Themenbereichen Frieden, Abrüstung, Sicherheit und Konflikt interdisziplinär zu diskutieren. Das aktuelle Dossier 78 ist auch auf der Webseite www.wissenschaft-und-frieden.de nachzulesen.

Die Quartalszeitschrift W&F wird von einem Trägerkreis aus friedenspolitischen Initiativen und Instituten schon seit 1983 herausgegeben. Die Herausgeber sehen die W&F als Scharnier zwischen Friedensforschung, Friedensbewegung und Öffentlichkeit, um gemeinsam Entwicklungen in den Themenbereichen Frieden, Abrüstung, Sicherheit und Konflikt interdisziplinär zu diskutieren. Das aktuelle Dossier 78 ist auch auf der Webseite www.wissenschaft-und-frieden.de nachzulesen.

Das Instrument »Zivilklausel«

Einen Diskussionsimpuls für solche Fragen kann die Forderung nach einer »Zivilklausel« liefern – eine Selbstverpflichtung von Hochschulen, nur zivilen Zwecken zu dienen, und dies verbindlich in ihren Statuten aufzunehmen. Das neue Dossier Nummer 78 der Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden« (W&F), stellt den aktuellen Stand zur Durchsetzung von Zivilklauseln an deutschen Hochschulen dar und propagiert eine alternative Forschungs-Agenda.

In den letzten sechs Jahren wurden an 26 deutschen Hochschulen Zivilklauseln durch die Gremien universitärer Selbstverwaltung beschlossen. Ver.di, GEW, der DGB-Bundeskongress, aber auch einige Parteitage von SPD, Grüne und der Linken stellten sich hinter die zivile Ausrichtung von Forschung und Lehre. Auch in den Landeshochschulgesetzen von Thüringen, NRW und Bremen sind Passagen dazu zu finden. Umso ernüchternder ist, dass an mindestens elf der Hochschulen mit verbindlicher Zivilklausel schon wieder Verstöße registriert wurden. Oft genug fehlt es an einer sauberen Definition was noch alles »zivil« ist. Das »dual-use«-Potential, die prinzipielle Verwendbarkeit bestimmter Technologien, Maschinen und Verfahren für zivile, wie militärische Zwecke, sorgt dafür, dass die Zivilklausel Auslegungssache bleibt. Gleichzeitig fehlt es auch an Kontrollinstanzen, an Gremien, die die Einhaltung der Selbstverpflichtung kontrollieren und Verstöße sanktionieren. Schon an der dafür nötigen Transparenz über die extern finanzierten Forschungsprojekte mangelt es. Hier wird sich zumeist auf die Forschungsfreiheit berufen. Was als Garant gegen die kriegspolitische Dienstbarmachung von Universitäten gemeint war, hat sich unter den aktuellen Bedingungen zur Freiheit der Drittmittel, zum Zwang Auftragsforschung (z.B. für das Verteidigungsressort) anzunehmen, verkehrt.

Eine andere Hochschule

Cornelia Mannewitz von der Deutschen Forschungsgemeinschaft argumentiert in dem Dossier, dass die Zivilklausel ein zahnloser Tiger ist, aber zumindest Vorbild sein kann für das, was Hochschule eigentlich leisten soll. Für sie ist die Zivilklausel nur ein kleiner Baustein im Kampf um eine Hochschule die weniger dem Wettbewerb und mehr den Menschen dient. Die Angriffe und Diskussionsimpulse gegen die Ökonomisierung der Hochschulen sollten eben auch aus der Friedensbewegung kommen.

Torsten Bultmann vom Bund demokratischer WissenschaftlerInnen regt daran anschließend an, ein alternatives Leitbild der Forschungsentwicklung zu etablieren. Die Friedenswissenschaft sollte die Betriebswirtschaftslehre ablösen. Denn sozial-ökologische Forschung wird nicht durch Märkte hervorgebracht – sie muss politisch implementiert werden. Eine explizit anti-militärische Forschung beinhaltet im Sinne der zivilen Konfliktbearbeitung die Zuwendung der wissenschaftlichen Produktivkräfte auf die dafür nötigen Fragen, wie die gerechte globale Verteilung von Lebenschancen und Ressourcen. Frieden kann nicht nur eine moralische Verpflichtung sein, sondern muss auch aktiv einzelwissenschaftlich konkretisiert werden. Die Zivilklausel und die damit verbundenen (zumeist horizontalen) Willensbildungsprozesse an den Hochschulen können ein Beitrag dafür sein, dass überhaupt wieder der gesellschaftliche Bildungs- und Wissenschaftsbedarf verhandelt wird. Die Zuspitzung auf die Frage ›Krieg oder Frieden‹, verleiht der Zivilklausel im Angesicht der aktuellen Weltlage zudem eine Schärfe die, anders als die Probleme der Ökonomisierung, schwer wegzudiskutieren ist.