Überzeitliche Karikaturen
15. November 2016
Eine Ausstellung mit Arbeiten des Künstlers Josef Čapek
Wenn hierzulande von tschechischer Literatur und Kunst die Rede ist, wird oft der Name Karel Čapek (1890 – 1938) genannt. Verhältnismäßig selten fällt der Name seines drei Jahre älteren Bruders, des 1887 im nordostböhmischen Hronov geborenen Malers und Schriftstellers Josef Čapek. Ihm war bis Anfang November eine Ausstellung in der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache gewidmet. Und die wird ab 11. November in Recklinghausen, Hohenzollernstr. 12 fortgesetzt.
Sofern Josef Čapeks Werk gewürdigt wird, erfolgen meist Hinweise auf den liebevollen Kinderbuchautor und -illustrator. In der Tat ist er in erster Linie durch Publikationen solcher Art international bekannt geworden, vor allem durch sein 1929 erschienenes Buch »Geschichten vom Hund und der Katze… Geschrieben und gezeichnet für die Tochter Alenka und alle Kinder dieser Welt«. Mit der Welt des Kindes hat er sich bis zuletzt befasst. Noch während seiner letzten Lebensjahre – in Konzentrationslagern, darunter Buchenwald – entstanden entsprechende Zeichnungen und Gedichte. Jedoch auch politische Kunstwerke. Ihr Schöpfer bezahlte für sie letztlich mit seinem Leben. Nach fest sechsjähriger Haft und Qual in verschiedenen Konzentrationslagern starb Josef Čapek kurz vor Kriegsende 1945 im Lager Bergen-Belsen.
Mit Heraufziehen des deutschen Faschismus und dem Wirken des Naziablegers in der Tschechoslowakei, der Henlein-Partei, widmete sich Josef Čapek vor allem der politischen Karikatur. Die Wanderausstellung »Geschichte aus der Nähe. Politische Karikaturen aus der Tschechoslowakei von Josef Čapek u.a. aus der Zeit von 1933-1938« ist dem letzten Abschnitt des Wirkens Čapeks gewidmet. Es ist die Zeit, da ein Dr. Walter Becher, sudentendeutscher Politiker und »Heim ins Reich«-Trommler sowie späterer CSU-Abgeordneter, Nazipropaganda macht und dabei auch die »Reichspogromnacht in Böhmen« feiert.
»Diese Karikaturen Čapeks sind – leider – überzeitlich«, erklärten später die Dortmunder Schriftsteller Max von der Grün und Josef Reding. Die Ausstellung der Hagener Čapek-Gesellschaft zeigt neben den Karikaturen Grafiken aus der Prager Tageszeitung »Sozialdemokrat« sowie aus der ebenfalls in Prag erschienenen Satirezeitschrift »Der Simpl«. Erst 2008 erschien in Prag ein Band mit publizistischen Beiträgen Josef Čapeks aus der Zeit von Januar 1912 bis August 1939. Seit 1921 zählten die Brüder Čapek zur Redaktion der in Brno (Brünn) erscheinenden Tageszeitung »Lidové noviny« (»Volkszeitung«). Für diese Zeitung zeichnete Josef Čapek in den Jahren 1933–1938 seine – bis heute nur selten gewürdigten – politischen Arbeiten. Ein großer Teil hiervon ist in dem 1949 erst- und letztmals erschienenen Sammelband »Dejiny zblizka« (»Geschichte aus der Nähe«) enthalten.
Die Brüder sahen kritisch auf einen bedenkenlos akzeptierten Fortschritt. Die Begriffe »Roboter« und »Automat« haben sie geschaffen. Lange vor Hiroshima sagten sie die mögliche Vernichtung der Menschheit mit Massenvernichtungsmitteln voraus. Fortschritt könne zu einem Niedergang menschlicher Kultur und menschlicher Zivilisation führen. Hiermit ist ein Motiv angesprochen, das sich wie ein roter Faden durch das Werk der Brüder Čapek zieht, und 1937 im Josef Čapeks Zyklus »Die Diktatorenstiefel« wiederkehren wird: »Je größer der« – ständig wachsende – »Stiefel, umso geringer« die Bedeutung des Bürgers, der schließlich durch den Stiefel zertreten wird und damit einer eigenen Schöpfung zum Opfer fällt.
Immer wieder thematisieren Josef Čapeks Graphiken die alarmierenden Nachrichten aus Deutschland. Sie entstanden auch unter dem Eindruck japanischer und italienischer Aggressionen sowie des Spanischen Bürgerkriegs und schließlich des Münchner Abkommens, – sie muten wie ein verzweifelter Aufschrei an, gerichtet an ein mehr und mehr abstumpfendes Publikum. Manch eine Karikatur könnte während des Krieges oder gar später entstanden sein. Eindrucksvoll widerlegen lässt sich anhand dieser Bilder die immer noch oft verfochtene These, man habe von Vernichtungs-und Kriegsplänen des NS-Regimes und anderer Staaten beim besten Willen nichts erahnen können.
Die Čapek-Gesellschaft hat bereits mehrere Ausstellungen zum Leben und Wirken der Brüder Čapek auf die Beine gestellt. Die Arbeiten der Čapek-Brüder haben nie an Aktualität verloren, betonte Dr. Ulrich Grochtmann von der Čapek-Gesellschaft. Er wünscht sich, dass gerade vor der heutigen gesellschaftlichen Entwicklung, ihre Arbeit wieder mehr Aufmerksamkeit bekommt. Ulrich Sander
Čapek-Gesellschaft für Völkerverständigung und Humanismus e.V., Kontaktadresse: Dr. Ulrich Grochtmann, Gerhard Hauptmann Str. 4, 58093 Hagen, Tel. 02331 54028