Der Skandal bleibt
11. Februar 2017
BGH-Entscheid macht 70 Jahre Straffreiheit nicht ungeschehen
Höchstrichterlich hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung des (zum Urteils-Zeitpunkt 94jährigen) SS-Mannes Oscar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen bestätigt. Das Besondere daran: Für Grönings Verurteilung genügte im Grunde seine Zugehörigkeit zur SS-Mannschaft in Auschwitz. Ohne diese Mannschaften wären die Massenmorde ja gar nicht möglich gewesen.
Bis zum sogenannten Demjanjuk-Urteil im Jahre 2011 (das aber höchstrichterlich nicht bestätigt wurde, weil der Verurteilte vorher verstarb) war es in der bundesdeutschen Justiz Usus, dass Verurteilungen wegen Beihilfe zum Mord, wenn überhaupt, nur erfolgten, wenn dem Angeklagten eine oder mehrere Mordtaten konkret nachgewiesen werden konnten. Weil das in der Regel kaum möglich war (Zeugen gab es nur wenige, die SS ließ möglichst keine am Leben, und die wenigen wurden immer älter und weniger), blieb es bei der faktischen Straffreiheit.
So erfreulich die jetzige BGH-Entscheidung auch ist, sie macht zugleich noch einmal deutlich, dass diese Straffreiheit fast siebzig Jahre lang praktiziert wurde. Mit einer Ausnahme übrigens: Bei den in den RAF-Verfahren Angeklagten bedurfte es zur Verurteilung keines konkreten Nachweises der eigenhändigen Tötung, da genügte bereits die Zugehörigkeit zur RAF.
Die nunmehr anerkannte Strafbarkeit der Beihilfe allein schon wegen der Zugehörigkeit zur NS-Tötungsmaschinerie wird kaum noch jemanden treffen. Die Täter sind inzwischen mindestens neunzigjährig, wenn sie überhaupt noch leben, und kaum noch haftfähig. Immerhin konnten sie siebzig Jahre lang ihre Freiheit genießen.
So ganz und gar will unsere Justiz den Pfad der Nachsicht gegenüber SS- und Nazi-Verbrechern anscheinend doch noch nicht verlassen: Die Forderung der Nebenklage, die Mitwirkung am SS-Tötungssystem nicht nur als Beihilfe, sondern als Mittäterschaft zu werten, wurde vom BGH abgelehnt.