100 Jahre Krieg und Frieden
20. März 2017
Eine umfassende friedenspolitische Bilanz
Der namhafte Freiburger Historiker Wolfram Wette legt hier eine Summe (wohl auch Zwischenbilanz) seines ertragreichen Gelehrtenlebens als kritischer Militärhistoriker und engagierter Friedensforscher vor. Dabei kehrt er, der von 1971 bis 1995 am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg tätig war, auch zu seinen Ursprüngen zurück, denn seine erste Forschungsarbeit wurde 1971 unter dem Titel »Kriegstheorien deutscher Sozialisten« publiziert. Anstoß nahm das genuin soldatische Milieu dann an seiner politischen Biografie zu Gustav Noske, die 1987 veröffentlicht wurde. Wettes historische Analyse und fundierte Kritik galt stets der kriegerischen Kultur des Militarismus.
Mit seinem nunmehr veröffentlichten Opus Magnum ist es Wolfram Wette gelungen, in einer klaren und verständlichen Sprache Geschichte durchschaubar, verständlich und lesbar zu machen. Die zahlreichen Abbildungen und Quellentexte veranschaulichen und vertiefen die historischen Erkenntnisse. In der Danksagung des Autors erfährt der Verleger Helmut Donat (Bremen) aufrichtige Anerkennung dafür, dass er weit mehr geleistet habe als die übliche Verlagsarbeit: »Diese qualifizierte friedenshistorische Arbeit«, so hebt der Autor lobend hervor, »ließ sich nur von einem Verleger aufbringen, der auf der Gebiet der Historischen Friedensforschung selbst seit Jahrzehnten tätig ist.«
Wettes Darstellung beginnt mit dem Basler Internationalen Friedenskongress 1912. Die kirchenfernen Sozialisten und linken Kriegsgegner bekamen auch Beistand von Seiten der Kirche: Die protestantische Gemeinde vom Basler Münster gab ihre Zustimmung für die Schlusskundgebung im altehrwürdigen Gotteshaus. »Krieg dem Kriege im Namen der Unglücklichen! Rufen wir in die Welt. Wir fordern den Weltfrieden im Sinne eines Friedensbundes, der alle Völker umschließt«, begrüßte der Münsterpfarrer Jakob Täschler die Kriegsgegner, Antimilitaristen, Sozialisten und Sozialdemokraten. Da begannen die Glocken zu läuten, die Orgel setzte brausend ein, und unter ihren Klängen zogen die roten Fahnen der Internationale in das dunkle Kirchenschiff ein – ein ergreifender Augenblick, der sich den Sterblichen, denen es vergönnt war, ihn zu schauen, in schweigender Erhabenheit bot. So eine zeitgenössische Chronik. »Der Krieg«, so verkündete der Münsterpfarrer, »steht im schärfsten Widerspruch zum Evangelium, das eine Botschaft des Friedens, der Liebe, der Humanität, der edlen Menschheit ist.«
Richtiggehend spannend wird Wettes Darstellung, wenn er die »Julikrise 1914« erkundet. Denn die Ermordung von Franz Ferdinand lieferte den Vorwand, um ein diplomatisches Verwirrspiel zu inszenieren. Deutschland wollte den Krieg. Generalstabschef Moltke suchte einen Weg in den Krieg, er argumentierte mit der temporären rüstungspolitischen Überlegenheit Deutschlands.
Zurück zur einst friedensbewegten SPD. Gegen den Willen von 14 ihrer Mitglieder bewilligte die aus 110 Abgeordneten bestehende SPD-Reichstagsfraktion die ersten Kriegskredite und schloss den »Burgfrieden« mit dem Kaiser. Dieser konnte am 4. August 1914 im Reichstag verkünden: »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!«
Unbedingt lesenswert sind die Kapitel »Kein Abschied vom Schwertglauben« sowie über die Kriegslüge der »Dolchstoßlegende«. Wohltuend klare Worte findet Autor Wette, wenn er über die Kriegsschuldfrage und über die apologetischen Tendenzen des Historikers Christopher Clark in dessen Werk »Die Schlafwandler. Wie Europa 1914 in den Krieg zog« spricht.
Wolfram Wette sieht zwei wirkungsmächtige Strömungen in der deutschen Gesellschaft: die eine steht für eine aktive Friedenspolitik, die andere für eine kriegerische Machtpolitik. »Die nationalistischen, auf Machtpolitik setzenden Kräfte vermochten sich bereits ein Jahrzehnt nach der deutschen Revolution von 1918/19 wieder durchzusetzen und den Weg zu einem zweiten kriegerischen ›Griff nach der Weltmacht‹ zu beschreiten. Das militaristische Erbe wirkte fort.«
Wettes Botschaft als Friedensforscher: Es ist bedenklich, Politik ohne Geschichte zu machen, die Gewaltabsage großer Teile der Bevölkerung in den Wind zu schlagen und Konflikten mit den Mitteln gescheiterter Politik-Konzepte beizukommen. Dies wird, so Wettes Urteil, das Land allzu leicht in ein unkontrollierbares Fahrwasser führen. Der Autor plädiert dafür, militärische Zurückhaltung zu üben, sich auf zivile Maßnahmen und Projekte zu besinnen und sich zu erinnern. in welches Schlepptau eine Politik gerät, die sich dem »Ernstfall Krieg« überantwortet. Schließlich werden diese Lehren aus der Geschichte gezogen:
- Frieden nach außen lohnt sich.
- Demokratie sichert ein friedliches Zusammenleben im Innern.
- Ausgrenzung von Minderheiten geht mit uns nicht, weil wir die Unantastbarkeit der Menschenwürde achten.
- Humanität hat eine Leitlinie unseres Umgangs mit Flüchtlingen zu sein.
- Es geht darum, den Frieden als Ernstfall zu leben, im politischen, aber auch im persönlichen Bereich.