Genau hingeschaut
16. Juli 2017
Das Jahrbuch rechter Gewalt 2017
Die Journalistin Andrea Röpke hat die verdienstvolle Aufgabe übernommen, die öffentlich bekannt gewordenen Gewalttaten von Rechten zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Ihre Liste beginnt im Oktober 2015 und endet im September 2016. Zwischen den einzelnen Monaten finden sich Aufsätze, die das Verständnis vertiefen. Ein erster Blick in das Buch zeigt, dass die Zahl der Überfälle in allen Monaten ungefähr gleich hoch war. Beim zweiten Blick zeigen sich allerdings Unterschiede. So gibt es örtliche Schwerpunkte von Angriffen und Überfällen. Berlin, im Ortsverzeichnis am Ende des Buches nach Stadtteilen sortiert, steht mit 134 registrierten Straftaten deutlich an der traurigen Spitze. Als nächstes kommen Dresden (32), Halle (23), Cottbus (19) Erfurt (18) und Chemnitz (18). Die Menschen in den alten Bundesländern können sich dennoch nicht zurücklehnen und alles auf den Osten schieben. Es gibt es auch Städte im Westen mit einer hohen Zahl an Überfällen und Angriffen. Dortmund führt mit 17 vor München (15), Hannover (10) und Düsseldorf mit 9 registrierten rechten Straftaten.
So sorgfältig Andrea Röpke auch gearbeitet hat, stellt die Aufstellung doch nur einen Teil der tatsächlichen Taten dar. Viele Überfälle tauchen in der Polizeistatistik gar nicht auf. Zum einen, weil sie nicht als rassistische, oder rechte Gewalt von der Polizei behandelt wurden, zum anderen, weil viele Geschädigte sich erst gar nicht bei der Polizei melden. Das ist »ein bundesweites Phänomen, das zu einer hohen Dunkelziffer nicht angezeigter Gewalttaten führt.« (S. 256) Auch bei den Opferberatungsstellen, die bei der Erstellung der Daten mitgeholfen haben, sind nicht alle rechten Straftaten bekannt.
Einen sehr großen Anteil der Übergriffe machen Angriffe auf der Straße aus. Viele der Täter fühlen sich offenbar so sicher, dass sie tagsüber und auf offener Straße Menschen, denen sie die Berechtigung absprechen, in Deutschland zu leben, angreifen. Nur selten ist in den Chroniken verzeichnet, dass den Menschen die bedroht, oder körperlich angegriffen wurden, andere zur Hilfe kamen.
Sowohl die deutlich gesteigerte Aggressivität, als auch die unterlassene Hilfeleistung könnten dieselbe Ursache haben. Hat sich erst einmal eine rechte Gruppe in einer Gegend festgesetzt, beherrscht sie meist schnell den Alltag. Ihre Mitglieder fühlen sich stark und zeigen das auch, wovon andere eingeschüchtert werden. Es ist gleichgültig, ob es sich bei den Gruppen um Hooligans, Pegida oder militante Nazigruppen handelt. Darin liegt auch einer der Gründe, warum es wichtig ist, dass die Zivilgesellschaft und antifaschistische Gruppen nicht nachlassen, sich den Rechten in den Weg zu stellen.
Neben den Angriffen auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte hat es in dem beschriebenen Zeitraum auch viele Überfälle auf Antifaschisten und Antifaschistinnen gegeben. Ziel dieser Angriffe ist es, Angst zu schüren und Menschen so einzuschüchtern, dass sie sich nicht mehr engagieren. Nazis haben dabei auch immer wieder die Orte linker Strukturen angegriffen.
In den Artikeln des Buches wird auf Ereignisse aus den Chroniken Bezug genommen. Dadurch ist trotz der erschreckenden Anzahl schlimmer Angriffe und Überfälle ein Buch entstanden, das sich zu lesen lohnt.
In den dokumentierten Zeitraum fiel auch das Attentat auf die Bürgermeisterkandidatin in Köln, Henriette Reker. Sie war bis zu ihrer Wahl im Oktober 2015 in Köln für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig. Der Attentäter Frank S. war seit vielen Jahren in rechten Gruppen aktiv. Bereits 1993 nahm er an einem Aufmarsch zum Gedenken an Rudolf Hess teil. Er bewegte sich damals im Umfeld der FAP und der Hooligangruppe »Berserker Bonn«. In den folgenden Jahren ist er kaum noch in Erscheinung getreten, seine politische Überzeugung aber hat sich nicht geändert. Die Stimmung im Land hat ihn dann mit zu dem Attentat ermuntert. Im Prozess stilisierte er sich als »Freiheitskämpfer« und »wertkonservativer Rebell« hoch.
Zu der aufgeheizten Stimmung im Land haben auch die zahlreichen Demonstrationen von Pegida und die Internethetze gegen Flüchtlinge beigetragen. Beiden Aspekten ist ebenfalls ein Kapitel des Buches gewidmet. In einem weiteren Aufsatz wird der neofaschistische Terror des NSU und der Oldschool Society beschrieben. Ein anderer Artikel erläutert, wie geschickt sich Funktionäre der NPD als besorgte Bürger ausgeben um gegen Geflüchtete zu hetzen. Die im ganzen Bundesgebiet verbreiteten Internetseiten »Nein zum Heim« gehören in den Dunstkreis der NPD. Nach außen sieht man ihnen die Nähe zur NPD nicht an. Mit dieser Strategie versuchen die Kader der NPD Anschluss an offen rassistische Pegida und AfD Kreise zu bekommen.
Leider hat sich Andrea Röpke dazu entschlossen, antisemitische Straftaten nicht mitzuzählen. Dabei gehört der Antisemitismus für einen Teil der Rechten zum festen Bestandteil ihres Weltbildes. Ich hoffe, dass sie sie in späteren Jahrbüchern auch berücksichtigen wird.
Andrea Röpke »Jahrbuch rechte Gewalt 2017« Knaur Verlag 2017, 12.99 Euro