Von Land zu Land verschieden
10. November 2017
Studie über Besatzung, Kollaboration, Widerstand und Vergeltung im Zweiten Weltkrieg
In den vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Ländern und in den verbündeten Staaten verliefen die Grenzen zwischen passiver Anpassung, aktiver Kollaboration und Widerstand ebenso fließend wie jene zwischen Rache und Vergeltung im und nach dem Krieg. Der aus Ungarn stammende Historiker István Deák verbindet diese Themenfelder zu einer Gesamtdarstellung über die unterschiedlichen Ausprägungen komplexer Phänomene in schweren Zeiten.
Aus unterschiedlichen Gründen unterstützten Individuen, Gruppen und/oder lokale Behörden in den besetzten Gebieten die Besatzer, erduldeten ihre Anwesenheit oder lehnten sich dagegen auf. Passive Anpassung fiel in Nord- und Westeuropa, wo die Besatzungstruppen in der Regel gemäßigt agierten, leichter als in den oft rücksichtslos unterdrückten Ländern Ost- und Südosteuropas. Dort gingen Besatzung, Widerstand und Befreiung oft mit Bürgerkriegen, Genoziden und »ethnischen Säuberungen« von unliebsamen Minderheiten einher. Dabei spielte die Besatzungsmacht mitunter eine geringere Rolle als verschiedene lokale Gruppierungen. Bis heute gibt es keine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der vier miteinander verwobenen Themen »Kollaboration«, »Anpassung«, »Widerstand« und »Vergeltung«. Dieses Buch zeigt länderspezifisch auf, was während des Zweiten Weltkriegs in Europa geschah.
Die »Haager Landkriegsordnung« von 1907 regelt in Artikel 42 und 43 die Pflicht der Bevölkerung der Besatzungsmacht zu gehorchen, solange diese sich an die Haager Konvention und das besetzte Gebiet unter Kontrolle hält. Artikel 4 zählte die irregulär kämpfenden Einheiten zu den legal kriegführenden Kräften, sofern sie unter entsprechender verantwortlicher Führung kämpften, ein von weitem erkennbares Abzeichen und ihre Waffen offen tragen sowie die Gesetze und Gewohnheiten des Krieges einhalten. Werden Soldaten von Nichtkombattanten angegriffen, dürfen sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Waffen zurückschlagen – gegebenenfalls zum Schaden unbeteiligter Zivilisten.
Der Autor unterscheidet drei Phasen des Zweiten Weltkriegs, die in unserem Zusammenhang von Interesse sind: Die unaufhaltbar scheinende deutsche Expansion bis zum 22. Juni 1941, als die meisten Menschen sich entschieden, diese zu ertragen. Deák bezeichnet Stalin und die Sowjetunion als »de facto Hitlers wichtigsten Verbündeten 1939 – 1941«, eine Einschätzung, die seiner antikommunistischen Grundhaltung entspricht, die auch an anderen Stellen zum Tragen kommt. Erst der Überfall auf die SU und der Vernichtungskrieg im Osten lösten in vielen Ländern kommunistisch inspirierten Widerstand aus. Nach Stalingrad (2. Februar 1943) setzte sich die Meinung durch, Deutschland könnte den Krieg verlieren, Widerstand könnte der Anti-Hitler-Koalition zum Sieg verhelfen – Kollaboration ist auch in den Kontext dieser drei Phasen zu stellen.
Als einziges britisches Gebiet waren die Kanal-Inseln von der Wehrmacht von 1940 bis Kriegsende besetzt. Es war eine friedvolle Besetzung, die sogar 900 britisch-deutsche Babys hervorbrachte. Ganz anders verlief das Besatzungsregime in Jugoslawien und Griechenland, geschweige denn den »Bloodlands« (Timothy Snyder). Diese Länder waren religiös und ethnisch heterogen, die Menschen dort viel kampfbereiter als in West- und Nordeuropa. In Ost- und Südosteuropa gab es oft gleichzeitig mehrere Aggressoren und verschiedene Besatzungsmächte und dort standen die zukünftigen Kollaborateure meist vor der Entscheidung, welchem Okkupanten sie dienen wollten. Diejenigen, die sich einem bestimmten Besatzer anschlossen, starben mit größerer Wahrscheinlichkeit als diejenigen, die fähig waren, sich flexibel und pragmatisch auf die Seite des jeweils gerade Herrschenden zu schlagen. Es gab allerdings keine Garantie, und das Überleben war oft mehr dem Glück zu verdanken, als einem besonderen Talent für Servilität oder Intrige.
Militärisch erwiesen sich Deutschlands Verbündete mehr als Fluch denn als Segen (Slowakei, Ungarn, Rumänien, Kroatien, Italien). Eine Ausnahme bildete Finnland, das aber formell nicht mit Deutschland verbündet war. Das brutale Besatzungsregime in Süd- und Südosteuropa ist bekannt. Das gut lesbare Buch geht oft ins Detail, etwa beim Umgang der Nachkriegsgesellschaften mit echten und vermeintlichen Kollaborateuren, was hier aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden kann.
Nachdem er sich eine Woche zuvor mit Adolf Hitler getroffen hatte rief der französische Staatschef Pétain in einer Radiorede am 30. Oktober 1940 die Franzosen zur »Zusammenarbeit« (»collaboration«) mit den deutschen Besatzern auf. Er prägte damit einen Begriff für die Organisationen, Bewegungen und Einzelpersonen, die während des Zweiten Weltkrieges in den von Deutschen besetzten Staaten willig mit Deutschland zusammenarbeiteten. Der Name des Norwegers Vidkun Quisling wurde zum Synonym dafür.