Republikanischer Niedergang
8. Februar 2018
1933 und 2018: Wenn sich die deutsche Rechte neu gruppiert
Die Ernennung Hitlers zum Kanzler des Deutschen Reiches am 30. Januar 1933 war der entscheidende Schritt zur Errichtung eines zuvor unvorstellbaren Verbrecherstaates und auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg. Europaweit waren bereits bürgerlich-parlamentarische Herrschaftsformen abgelöst oder wurden auf dem Weg zu autoritären und diktatorischen Regimes ausgehöhlt und liquidiert. Der Rückblick nach 85 Jahren erfolgt aus einem Europa, in dem wiederum alarmierende Rechtstendenzen in zahlreichen Staaten zunehmen und das sich in einem seit Jahren krisen- und kriegsgeschüttelten globalen Umfeld mit katastrophalen Lebensbedingungen für Hunderte Millionen Menschen befindet. Führende Kräfte der NATO – an der Spitze die USA als imperiale Führungsmacht mit totalitären Zügen – und der EU intensivieren die Militarisierung der Politik mit einer Massenbeeinflussung, die Rechtsentwicklungen weiteren Auftrieb gibt.
Die Wesensverwandtschaft innerhalb des rechten Spektrums tritt bei erhöhter politischer Labilität und schwindenden Handlungsspielräumen offener und aggressiver hervor – in Programmatik, Taktik, Personalien und politischem Jargon. Vorher noch gemieden, orientierten sich Zentrum und Bayerische Volkspartei (BVP) ab Sommer 1932 mit Rückhalt bei Gruppen des Großkapitals und im Vatikan darauf, die NSDAP als Stütze des Herrschaftssystems zu tolerieren oder gar unter Hitler als Regierungschef mit ihr zu koalieren. Die Vorsitzenden, Prälat Ludwig Kaas und Fritz Schäffer, hatten seit 1930 ihre Parteien weit nach rechts geführt. Schäffer war noch Ende Januar 1933 nach Berlin gereist, um sich Hitler anzudienen. Der brauchte solche Koalitionspartner nicht mehr. Ab September 1949 saß Schäffer, nunmehr CSU, als Bundesfinanzminister im Kabinett Adenauer.
Die bürgerlichen Parteien wählten im August und Dezember 1932 – im Gegensatz zu SPD und KPD – mit der NSDAP Hermann Göring zum Präsidenten des Reichstags, wiesen mit der NS-Fraktion Anträge der Arbeiterparteien ab und lähmten das Parlament, bis Anfang 1933 die Kungeleien zugunsten einer faschistischen Reichsregierung zum Ziel führten. Die Zustimmung aller bürgerlichen Parteien zum Ermächtigungsgesetz für Hitler am 23. März 1933 war ebenso von Anbiederungen begleitet wie die zur verlogenen Friedensrede Hitlers am 17. Mai und bei ihrer erzwungenen Selbstauflösung Anfang Juli 1933.
Es ging und geht um Triebkräfte und Akteure des Abbaus von demokratischen und sozialen Rechten und Chancen, um interessengeleitete Politik und Machtausübung, das Wesen des modernen Militarismus und seine wiederum längst wirksamen zerstörerischen Potenzen. Langwierige Krisenprozesse und soziale Spannungen mobilisieren antidemokratische, antisozialistische und völkisch-rassistische Bestrebungen zur militanten Verteidigung der bürgerlichen Gesellschaft. Sie stellen sich als rettende Alternativen dar und wirken als Selbsterhaltungskräfte der kapitalistischen Ordnung. Solche Grundtendenzen rufen – 1930 wie 2017 – plötzliche Verschiebungen im Wahlverhalten großer Wählergruppen hervor, die sich aus latenten extrem rechten Potentialen bisheriger Großparteien, aus rechtsextremen und gewaltbereiten Zusammenschlüssen sowie vorherigen Protest- und Nichtwählern rekrutieren.
Die extreme Rechte gedeiht heute wie damals, indem sie überkommene ideologische und politisch-programmatische Komponenten aufnimmt und radikalisiert wie Rechtskonservatismus und Nationalismus, Hochschätzung des starken Staates und äußerer Machtpolitik, reaktionäre Geschichtsbilder und volksfeindliche Traditionen, Rassismus, volksgemeinschaftliche Gesellschaftskonzepte, bedingungslose Verteidigung sozialer Ungleichheiten und Hierarchien, Krisenbewältigung durch Sozial- und Demokratieabbau, Antisozialismus sowie scharf umrissene Feindbilder. 1983 hatten MdB der CSU die Republikaner mitgegründet. Heute sitzt der Ex-Beamte des Bundeskriminalamtes und Major der Reserve Martin Hohmann für die AfD im Bundestag, dem er bereits von 1998 bis 2005 als Abgeordneter der CDU angehört hatte. Die Verklärung faschistischen Soldatentums durch den AfD-Vorsitzenden Gauland, zuvor ebenfalls CDU, setzt die langjährig seitens Bonner Regierungsparteien vertretene Apologie der Wehrmacht fort. Die AfD verschärft den Antikommunismus der Unionsparteien bis zum nazistischen Antibolschewismus. Etablierte Rechtsintellektuelle fördern die Öffnung nach rechtsaußen: Tonangebende Blätter wie FAZ und WELT plädierten im Dezember 2017 dafür, die österreichische Rechtskoalition gelassen als europäischen Partner anzunehmen.
Es gilt, die gegenseitige Annäherung von CDU, CSU, FDP und AfD sowie die tendenzielle Integration der Letzteren ins politische System offen zu legen. Verschärfte Attacken gegen die kämpferische Linke sind damals wie heute unverkennbares Merkmal und Bedingung rechtsgerichteter Sammlungen und Strategien. Sie sind als Herausforderungen anzunehmen und offensiv zu erwidern.