Überall notwendig und möglich
9. Februar 2019
Antifaschistische Pädagogik in Theorie und Praxis
Der Sammelband »Antifaschistische Pädagogik« von Merlin Wolf (Hrsg.), arbeitet wichtige Leitlinien, Ideen und Aktionsfelder für diesen Bereich heraus. Dabei liefert er einen guten Überblick über verschiedene theoretische Aspekte wie auch praktische Zugänge.
In Bezug auf die Darstellung theoretischer Hintergründe ist Wolfs Eingangskapitel zu Autoritarismus besonders erwähnenswert, in dem er die Notwendigkeit einer eigenständigen Behandlung des Themenkomplexes darlegt, da dieser in der Demokratiepädagogik häufig hinter den Aspekten Antidiskriminierung und Vorurteilsprävention zurückbleibe. Seine Einführung in Autoritarismusstudien (nicht nur) der Frankfurter Schule ist auch für Nicht-Spezialistinnen gut lesbar. Er gibt einen übersichtlichen Einblick in ein Forschungsfeld, das – ausgehend von der Forderung an Erziehung, dass Auschwitz sich nicht wiederholen können dürfe – die Entwicklung von selbstständigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeiten in den Mittelpunkt stellt. Dabei spiele die Bekämpfung von Angst und Ekel eine besondere Rolle, wobei auch »gesellschaftliche und ökonomische Faktoren wieder stärker diskutiert werden [müssten]. Unsicherheiten schüren Angst und triggern Menschen, die eine autoritäre Disposition haben.«
Die Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildung, insbesondere dezidiert antifaschistischer Ausrichtung, mit ihren Potenzialen und Herausforderungen loten Burghardt und Höhne in ihrem Kapitel »Impulse kritischer Bildungstheorien für eine antifaschistische Pädagogik« aus, in dem sie sowohl auf die Verstrickung der Pädagogik »in die Reproduktion von Herrschaftsstrukturen und deren Legitimation« hinweisen als auch auf das Widerstandspotential, das durch Bildung geweckt werden kann. Diese Fähigkeit zur Aufklärung setze aber eine Bestimmung der Begriffe wie Faschismus und Gesellschaft voraus.
Dass die aktuelle Gedenkstättenpädagogik diesbezüglich einige Lücken aufweist, erläutert Lola Lux in ihrem sehr interessanten Aufsatz »Chancen und Herausforderungen einer antifaschistischen Pädagogik an historischen Orten«. Sich von den Gedenkstätten der DDR abgrenzend, die in ihrer eindeutigen und ihrer besonders auf den antifaschistischen Widerstand ausgerichteten Arbeit offen staatstragende Funktionen erfüllten, versuche sich die heutige Gedenkstättenpädagogik unter Bezug auf den Beutelsbacher Konsens als unideologisch zu präsentieren. Dabei konzentriere sie sich stark auf Menschenrechtspädagogik, die in der Reduktion der Naziverbrechen auf Entrechtung »gleichzeitig Ausgangspunkt und Folge meinungspluralistischer Ideologie« sei. Hingegen sei es wichtig, die bestehenden Verhältnisse mitzudenken und die »Möglichkeit des Umschlagens jeder kapitalistischen Gesellschaftsordnung in Richtung Faschismus zu thematisieren.«
Einen anderen Versuch der Rückbindung pädagogischer Praxis an theoretische Erklärungsmodelle und gesellschaftspolitische Verhältnisse unternimmt Bierwirth mit seinen Überlegungen zu einer materialistischen Pädagogik am Beispiel der Arbeit der Falken und deren Organisation von Gegenwelterfahrungen in der Gruppe.
Andere Artikel beschreiben praxisnah Strukturen und Erfahrungen verschiedener Initiativen, Projekte und Vereine, um hieraus Handlungsstrategien und Anregungen für weitere Arbeit abzuleiten. So Jelittes Reflexionen politischer Bildungsarbeit an Schulen am Beispiel des Netzwerks für Demokratie und Courage, Schmidts Beschreibungen zu den Aktivitäten und Zielen des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« oder Scheuermanns Aufsatz zu Strategien der sozialen Fanarbeit gegen autoritäre Einstellungen in der Fanszene.
Der Sammelband zeichnet sich dadurch aus, auch schwierige Felder differenziert anzugehen und reflektiert zu thematisieren. So weist Konca im Aufsatz »Antipatriarchale Arbeit mit (post-)migrantischen Jungen in einer rassistischen Gesellschaft« darauf hin, dass es durchaus möglich ist, pädagogische Angebote für die Zielgruppe der (post-)migrantischen Community auszurichten, ohne »das Patriarchale an der sogenannten Mehrheitsgesellschaft aus[zu]blende[n] und somit (Post)migranten zu stigmatisiere[n]«.
Die Gliederung des Buchs ist gelungen und die Gewichtung behandelter Theorien und Praxisbeispiele ausgewogen. Es eignet sich sowohl für Einsteiger, um einen ersten Überblick zu erlangen als auch für Personen mit Vorkenntnissen, die tiefer in die Thematik einsteigen wollen.
Nicht zuletzt im Hinblick auf die Aufarbeitung zur Pädagogik während und nach der NS-Zeit, insbesondere durch Ortmeyer und Rhein, ist das Buch zudem allen (künftigen) pädagogischen Fachkräften ausdrücklich empfehlen!
Denn – um wieder mit Wolf zu schließen: »Die Bedrohung der bürgerlichen Werte durch den Rechtspopulismus sollte uns eine Warnung sein: Ziele und Aufgaben antifaschistischer Pädagogik müssen in der Ausbildung von Erzieher*innen (…) eine wichtigere Rolle spielen.«
Antifaschistische Pädagogik
Merlin Wolf (Hrsg.)
298 Seiten
Alibri Verlag, 2018
Das Buch ist ab sofort auch über den Shop der VVN-BdA zu beziehen.