Ein Hort der Schönen Künste?
20. Mai 2019
Kritische Betrachtung der Frühgeschichte einer Akademie
»Ein Bericht über eine Akademie«: Das »Kafkaeske« im Haupttitel dieser vor kurzem erschienen Studie über »Die Bayerische Akademie der Schönen Künste von 1948 bis 1968« fällt ins Auge. Warum sie »der Versuchung, im Titel auf Franz Kafkas ‚Bericht für eine Akademie‘ anzuspielen, nicht widerstehen« konnte, darüber informiert Edith Raim im Nachwort zu ihrem Buch.
In diesem wird ja nicht »für« sondern »über« eine Akademie berichtet. Konkret: über die ersten zwanzig Jahre ihrer Geschichte, nachdem sie 1948 – die NS-Zeit und der Zweite Weltkrieg waren gerade erst vorbei – gegründet worden war. Das Buch ist als Veröffentlichung dieser bis heute bestehenden Institution erschienen. Im Vorwort schreibt »für das Direktorium« Winfried Nerdinger, Direktor der Abteilung Bildende Kunst der Akademie: »Um jede Form von Nabelschau zu vermeiden, sollte ein fachlich geschulter Blick von außen auf die schwierige Frühgeschichte der Akademie geworfen werden. Wir sind dankbar, dass wir auf Empfehlung des Instituts für Zeitgeschichte die Historikerin Dr. Edith Raim als Autorin gewinnen konnten, die freien Zugang zu allen Unterlagen und Archivalien erhielt.«
»Ohne jede Beschönigung« habe die Verfasserin »ihr Bild von der Akademie«, das sie sich daraus machen konnte, wiedergegeben. »Dies hat im Vorfeld der Publikation zu internen Diskussionen geführt; aber die Akademie stellt sich ihrer Geschichte und stellt sie offen zur Diskussion, auch um selbst daraus zu lernen.« Bei der im März in München mit einer Podiumsdiskussion verbundenen öffentlichen Vorstellung des im Januar erschienen Werkes hat es »hitzige Debatten« gegeben, wie die lokale Presse vermerkte.
Lernprozesse, das lässt sich schon jetzt festhalten, wurden mit der Veröffentlichung bei einigen angestoßen. Am Beispiel einer renommierten Kultur- und Kunstinstitution geht es in dieser Untersuchung um Exemplarisches beim Umgang mit der NS-Vergangenheit, mit Tätern, Mitläufern und Opfern und deren gesellschaftlicher Berücksichtigung. Nicht nur in Bayern sondern in der gesamten Bundesrepublik in den Nachkriegsjahren und den diesen folgenden beiden Jahrzehnten.
»Zur Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland«, schreibt Edith Raim, »gehört auch die Schaffung oder Wiederbelebung der Akademien für Bildende Kunst, Literatur und Musik. Im Gegensatz zu den Hochschulen für Musik oder Akademien für Bildende Kunst, die Studierenden als Ausbildungsstätten dienen, handelt es sich dabei um Künstlervereinigungen von in der Regel bereits arrivierten Künstlern, Schriftstellern und Komponisten.« »Ziel der vorliegenden knappen Darstellung« sei, »die ersten 20 Jahre von 1948 bis 1968 zu skizzieren«.
Unter anderem deshalb, weil ein mit dem Jahr 1968 verbundener »Mentalitätswandel« auch an dieser bayerischen Kulturinstitution nicht spurlos vorbeiging: »Jäh wurde die BAdSK aus ihrem ästhetischen Wolkenkuckucksheim in die Niederungen gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen gezogen.« Noch wichtiger aber: »Die elementare Verunsicherung, die die Jahre ab 1967 prägte, hat ihre Ursache nicht zuletzt in der verdrängten NS-Vergangenheit. So fragt diese Arbeit nicht nur nach der Geschichte der BAdSK, sondern auch nach den NS-Belastungen ihrer Mitglieder sowie einer etwaigen Auseinandersetzung der BAdSK mit der NS-Vergangenheit.«
Mit reichhaltigem Archivmaterial gelingt es der Autorin, den ersten Untersuchungskomplex – solche »NS-Belastungen« – bei manchen der die Arbeit der Akademie prägenden und bestimmenden Kulturschaffenden zu belegen. Und darüber hinaus diverse Netzwerke mit und Verbindungen zu anderen vor und oft auch noch nach 1945 einschlägig Aktiven nachzuweisen.
Reichhaltig Material fand die Autorin andererseits aber auch darüber, wie vorhandene Strukturen in der Akademie und Verbindungen nach außen immer wieder genutzt wurden, wenn es galt, in der NS-Zeit verfolgte oder in die Emigration getriebene Künstlerinnen, Künstler und andere Kulturschaffende und ihr Werk zu diskreditieren, um sie so von Publikations-, Auftritts- oder Ausstellungsmöglichkeiten auszuschließen. Da wurden absurdeste »Qualitätskriterien« erfunden und verbreitet. Nicht selten aber reichte bereits der Hinweis, die oder der Betreffende hielten oder halten es gar nach wie vor »mit den Kommunisten«. Dann war die Sache meist ohnehin geregelt….
Bleibt, heutige Entwicklungen betrachtend, die Frage: Alles »Kalter-Kriegs-Kaffee?«
Die 1965 geborene Edith Raim hat in München und Princeton Geschichte und Germanistik studiert, promovierte über die jüdischen Außenlagerkomplexe Kaufering und Mühldorf des Konzentrationslagers Dachau und habilitierte sich mit einer Arbeit über den Wiederaufbau der westdeutschen Justiz und die Ahndung von NS-Verbrechen in der Besatzungszeit 1945 bis 1949. Derzeit ist sie Lehrbeauftragte für Neuere und Neueste Geschichte in Augsburg.