80 Jahre nach dem Überfall
20. Juli 2019
Polen und Deutsche wissen wenig über ihre Nachbarn
Am 1. September 2019 wird an den 80. Jahrestag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf Polen gedacht, in dessen Folge fast 6 Millionen Polen (beinahe 20 Prozent der Vorkriegsbevölkerung), darunter mehr als 3 Millionen polnische Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma, zu Tode gekommen sind. Gemessen an seiner Einwohnerzahl weist die polnische Bevölkerung die höchste Opferrate aller von Deutschland überfallenen Länder während des II. Weltkriegs auf.
Der aktuelle Zustand der Beziehungen zwischen unseren Nachbarländern ist äußerst unbefriedigend. Trotz vielfacher zivilgesellschaftlicher Bemühungen ist es insbesondere in den vergangenen 30 Jahren nicht gelungen, den Versöhnungsprozess zwischen den Gesellschaften in Polen und Deutschen substantiell zu intensivieren. Dabei schufen beide Länder auf zwischenstaatlicher Ebene bereits Anfang der 1990er Jahre entsprechenden Voraussetzungen dafür. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich im Vertrag mit der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991 dazu verpflichtet, die Entwicklung zwischenmenschlicher Kontakte, als eine unerlässliche Voraussetzung für die Verständigung und Versöhnung beider Völker, durch persönliche Begegnungen zwischen ihren Bürgern umfassend zu fördern und gleichzeitig den Kulturaustausch auf allen Ebenen zu intensivieren. Beide Staaten haben im Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit vom 14. Juli 1997 den Beitrag der Polen und Deutschen zum gemeinsamen kulturellen Erbe Europas anerkannt und die gegenseitige Durchdringung und Bereicherung beider Kulturen, die sich bereits seit Jahrhunderten vollzieht, begrüßt. Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu leistete vor allem das Deutsch-Polnische Jugendwerk (DPJW), das über Jahrzehnte ganze Generationen junger Menschen in der grenzüberschreitenden Annäherung begleitet und prägte.
Dennoch verfügen junge Menschen in der Bundesrepublik Deutschland noch immer über wenige Kenntnisse bezüglich der deutsch-polnischen Beziehungen und ihrer Geschichte sowie des damit einhergehenden, intensiven Austauschs zwischen Deutschen und Polen auf kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Ebene.
Laut einer aktuellen Umfrage des »Deutsch-Polnischen Barometers« empfinden nur 29 Prozent der Deutschen Sympathie für Polen – dem gegenüber stehen allerdings 56 Prozent der befragten Polen, die Sympathien für Deutschland hegen. Daraus folgt, dass Polen die deutschen Nachbarn mehr schätzen als umgekehrt und das, obwohl in der deutschen Gesellschaft insbesondere ein Bewusstsein für die gezielten deutschen Verbrechen an Polen, polnischen Juden sowie Sinti und Roma und die rassistische und politische Verfolgung von Polen durch Deutsche während der deutschen Besatzung 1939 bis 1945 nur rudimentär vorhanden ist. Eine Ursache dafür liegt in dem Widerspruch zwischen der beständigen Beteuerung der deutschen Seite, sich zu ihrer historischen Verantwortung für die Verbrechen zu bekennen. Es dauerte jedoch mehr als ein halbes Jahrzehnt, bis ehemalige Zwangsarbeiter mit einer symbolischen Einmalzahlung für das erlittene Unrecht und die an ihnen verübte Gewalt bedacht wurden. Eine Entschädigung im eigentlichen Sinne wurde nie ins Auge gefasst.
Noch länger mussten die überlebenden polnischen Juden und Roma auf die Auszahlung ihrer Rentenbeiträge in Form einer Ghetto-Rente warten. Erst 2015 wurden diese, auch dank der intensiven Bemühungen der Berliner VVN-BdA und der in ihrem Umfeld von Nachkommen der NS-Opfer gegründeten Initiative »Ghetto-Renten Gerechtigkeit Jetzt!«, ausgezahlt. Keine Fortschritte wurden jedoch bei den Opfern der Zwangsgermanisierung sowie Tausenden zivilen polnischen Arbeitern erzielt, die ebenfalls um die Auszahlung ihrer Sozialversicherungsbeiträge im Zusammenhang mit der Ausbeutung ihrer Arbeit durch die Deutschen kämpfen.
Der Historiker Karl-Heinz Roth beziffert die Summe der nie geleisteten Reparationen an Polen auf ca. eine Billion Euro. Es wird zwar nie möglich sein, diese Schuld in diesem Umfang zu tilgen, doch es sollte zumindestens ein erinnerungspolitischer Fond eingerichtet werden aus dem neben notwendigen Entschädigungen an die geschätzt noch 40.000 Überlebenden polnischen KZ-Häftlinge und Zwangsarbeitern auszuzahlen sowie die Maßnahmen, der die seit Jahren unermüdlich für die Bewahrung er Erinnerung an die Opfer des deutschen Faschismus kämpfenden zivilgesellschaftlichen Initiativen zu unterstützen.
Einen Beitrag dazu könnte die Schaffung eines deutsch-polnisches Doppelmuseums leisten. Den Prozess der Aufklärung und Versöhnung im Sinne der deutsch-polnischen Abkommen von 1991 und 1997 intensivieren und zugleich den Abbau von Bildungsdefiziten befördern. Ein bi-nationales Museum bietet die Chance, fundiertes Wissen und Gedenken mit historischer Vermittlung zu verbinden und gleichzeitig die Botschaft zu kommunizieren, dass Deutschland zu seiner Vergangenheit und der damit verbundenen Verantwortung mit Blick auf das den Polen zugefügte Leid steht.
Das fehlende Bewusstsein in der deutschen Gesellschaft für die nach wie vor vorhandenen Wunden und die Folgen der transgenerationellen Traumaweitergabe in der polnischen Gesellschaft sollte insbesondere im Bereich der kulturellen und politischen Bildung bearbeitet werden.