Unser gemeinsames Erbe
20. Juli 2019
Der 20. Juli 1944 gehört zum antifaschistischen Widerstand
Meinen Großvater Heinrich Körner (1892−1945) habe ich nie kennengelernt und doch begleitet er mein Leben und unsere Familiengeschichten, seitdem ich denken kann. Er war christlicher Gewerkschafter in Bonn, wurde nach der NS-Machtergreifung 1933 erstmals verhaftet und war später als Widerstandskämpfer im Rheinischen Kreis an der Vorbereitung des Attentats vom 20. Juli 1944 gegen Adolf Hitler beteiligt. Nach dem Scheitern wurde Heinrich Körner verhaftet, im April 1945 vom Berliner Volksgerichtshof zu vier Jahren Haft verurteilt und saß im Gefängnis Plötzensee ein. Als die sowjetischen Truppen die Gefangenen in der Haftanstalt befreiten, geriet er in die Straßenkämpfe mit der SS und wurde erschossen.
Heinrich Körner liegt heute auf dem St. Elisa-beth-Friedhof in Berlin begraben und vor unserem Bonner Familienhaus in der Reuterstraße erinnert seit 2004 ein Stolperstein an sein politisches Engagement. Gleich um die Ecke ist schon seit 1949 eine Straße nach ihm benannt. Die katholische Kirche hat ihn zum Märtyrer des 20. Jahrhunderts erklärt, der für seinen festen Glauben sein Leben opferte. Seine Frau Therese Körner (1901−1994), mit der er drei Töchter hatte, war eine engagierte politische Frau, die in alle Widerstandsaktivitäten eingeweiht war, sie mittrug und ihm den Rücken freihielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie neben ihrem Lehrerberuf eine aktive Stadtpolitikerin und baute die CDU in Bonn mit auf.
Für mich als Enkeltochter ist das Leben meiner Großeltern eine wichtige Verpflichtung, ihr Erbe und die Erinnerung an ihren Widerstand in der NS-Zeit zu bewahren. Seit dem Tod meiner Mutter, Marie Theresa Pörzgen, bin ich diejenige in der Familie, die sich in der Erinnerungsarbeit am meisten engagiert. Das habe ich von meiner Mutter übernommen, die einst als älteste Tochter am stärksten in das Widerstandsleben der Eltern eingeweiht war und in den Wirren des Kriegsendes nach Berlin fuhr, um nach der Leiche des Vaters zu suchen. Ihr ganzes Leben war geprägt von den Erfahrungen einer Kindheit und Jugend, in der die Familie immer mit dem Gefühl der Bedrohung lebte und sich für den Alltag eine Tarnung geben musste. In der Nachkriegszeit nahm meine Mutter regelmäßig an Treffen der früheren Widerstandsgruppen teil, besuchte die Gedenkfeiern zum 20. Juli und brachte sich aktiv in die Erinnerungsarbeit ein.
Mir ist der Charakter der Gedenkfeiern immer fremd geblieben, vor allem seit nach der Wiedervereinigung Deutschlands die Rekrutenverteidigung der Bundeswehrsoldaten das militärische Übergewicht noch verstärkt hat. Mich ärgert als Enkeltochter und Journalistin, dass die öffentliche Wahrnehmung des 20. Juli 1944 lange vor allem durch das Gedenken an den militärischen Widerstand geprägt war. Die zivilen Widerstandskämpfer schienen im Schatten der Erinnerung zu bleiben, obwohl viele von ihnen sehr viel früher erkannt hatten, wohin die NS-Diktatur trieb und dass aktiver Widerstand nötig war.
Als mich 2015 die Einladung der Verlegerin Elisabeth Ruge und des Historikers Hans Coppi erreichte, zu einem Berliner Angehörigenkreis dazu zu stoßen, war ich gleich dabei und fühle mich dort seither sehr beheimatet. Es finden sich dort Angehörige sehr unterschiedlicher Widerstandsgruppen, die sich über persönliche Familiengeschichten austauschen, aber auch der historischen Forschung zu diesen Themen widmen. Es sind Kinder, Enkelkinder und Urenkel, die mit ihrem Familienerbe in enger Verbindung stehen und sich angesichts der neonazistischen Umtriebe zunehmend gefordert sehen, Stellung zu beziehen.
Zu den wichtigen Erfahrungen unserer Angehörigentreffen gehört auch, dass wir die Ideologisierung der Erinnerungskultur des Kalten Krieges überwinden. Sie hatte in der Bundesrepublik über Jahrzehnte überwiegend den konservativ-militärischen Widerstand gewürdigt, während die DDR besonders den kommunistischen Widerstand gelten ließ. Dabei zeigen die Erinnerungen in den Familien, dass es wichtige Querverbindungen der zahlreichen Widerstandsgruppen gab, die vor allem das gemeinsame Ziel in den Vordergrund stellten, den Sturz der NS-Diktatur.
Auch in meiner christlich geprägten Familie gab es keine Berührungsängste zu Kommunisten im Widerstand, sondern eine geistige Nähe. Sie führte auch nach Kriegsende dazu, dass die jüngste Tochter meines Großvaters, meine Tante Helmi Jaskiewicz, mit Kindern aus dem Umreis der Roten Kapelle, wie Hans Coppi oder Saskia von Brockdorff und Bärbel Saefkow in ein Kinderheim nach Dänemark reisten, wo sie sich drei Monaten erholen konnten.
Es ist für uns alle ein wichtiger Fortschritt, dass auch bei den Gedenkfeiern zum 20. Juli 1944 heute Angehörige aus dem kommunistischen Widerstand und der Roten Kapelle völlig selbstverständlich auf der Gästeliste stehen, die jahrelang nicht eingeladen wurden. In der Erinnerung an unsere mutigen Vorfahren lassen wir uns nicht mehr auseinanderdividieren, sondern bewahren das familiäre Erbe im engen Austausch gemeinsam.
Der Text ist in der Broschüre »Nachkommen der Verfolgten des Naziregimes, von Exil und Widerstand melden sich zu Wort« veröffentlicht, die auf Seite 27 dieser Ausgabe besprochen wird.