Gegen den Rechtsruck ansingen
10. Dezember 2019
Ein Gespräch mit Egotronic-Sänger Torsun
antifa: Ihr besingt auf eurem neuen Album den Berliner Winter, wünscht euch die SPD unter die Fünf-Prozent-Hürde und torpediert die sogenannte Mitte mit ihrer Extremismustheorie: Kann es sein, dass sich Egotronic über die Zeit neu erfunden hat?
Torsun: Ich texte zu Themen, die mich beschäftigen. So wie die politische Lage derzeit ist, hat sich mein Fokus stark verändert. Ich nutze meine Musik ja auch, um mich mal auszukotzen und entsprechend sind das derzeit einfach Themen, die mich aufwühlen. Das ist dann manchmal halt melancholisch und ein wenig depressiv.
antifa: Auch Boris Palmer, grüner Bürgermeister von Tübingen, kriegt auf eurem neuen Album sein Fett weg. Magst du erzählen, wie es dazu kam?
Torsun: Palmer repräsentiert alles, was ich wirklich verabscheue. Er ist einerseits Grüner und andererseits absoluter Ordnungstyp. Zudem profiliert er sich als der Sarrazin seiner Partei, der mit seinem Rassismus auch noch Geld verdient, indem er es in Buchform presst. Ich dachte, Boris kann man ruhig mal in die Pfanne hauen. Lustig ist, dass ich im Song ja auch singe »schreib ihm was Nettes, er antwortet schnell«. Nach der Videoveröffentlichung dauerte es eine Stunde, bis er auf seiner Facebookseite reagierte.
antifa: Gerade die Zeilen »Wo sind all die Linksradikalen mit dem Schießgewehr? Und wann schießen sie auf Nazis?«, die in eurem Song »Linksradikale« offenkundig Anspielungen auf die Wirren der Extremismustheorie und die Verharmlosung von Naziterror sind, haben einen regelrechten rechten Shitstorm ausgelöst. Wie hast du das wahrgenommen?
Torsun: Kurz zum Inhalt: »Linksradikale« spielt auf die Geburtstagsparty des rechts-offenen Journalisten Matthias Matussek im März diesen Jahres an, die zu einem Stell-dich-ein von Leuten der sogenannten Mitte mit klaren Faschos wurde. Das haben wir nachgespielt. »Kantholz« war eher ein Actionvideo im Stil von Quentin Tarantino, also ein Phantasiestück. Mehrere einschlägige rechte und extrem rechte Internetseiten, darunter auch Journalistenwatch und Compact, haben darüber berichtet. Die Message des Songs und Videos wurde in die Richtung gedreht, als riefen wir zum Mord an Nazis auf. Das ist natürlich vollkommener Quatsch. Wir zählen auf, was passiert, dass Nazis eben morden, Waffen sammeln und Rechte in allen möglichen Funktionen der Gesellschaft präsent sind. Dies im Hinterkopf, stelle ich die Frage, wo denn die immer wieder als Bedrohung herbei halluzinierten Linksradikalen eigentlich sind, die auf Nazis schießen würden? Die Nazis müssen sich darüber einfach echauffieren, weil sie in der Realität keine Entsprechung haben. Die Rechten sind auch über unsere Kommentarspalten auf Facebook und Twitter gerollt, wir hatten mitunter fast tausend Postings an einem Tag. Extrem wurde dort gegen unsere HauptdarstellerInnen gehetzt und diese auch bedroht. Da war von Mord- und Vergewaltigungsankündigungen alles dabei.
antifa: Vermutlich sind das nicht eure ersten Erfahrungen mit rechter Hetze im Internet. Gibt es dennoch einen Wandel und habt ihr einen Rat für Menschen, die bisher weniger in Berührung damit gekommen sind?
Torsun: Zunächst, ja, wir sind es gewöhnt. Den ersten Nazishitstorm haben wir 2006 bekommen, als wir »Ten german bombers« aufgenommen haben. Diesmal hat es aber eine neue Qualität, womit ich einerseits die schiere Masse meine, aber auch, dass die Scham, solche Beiträge zu verfassen und dazu zu stehen, absolut gesunken ist. Zur Frage des Umgangs habe ich kein Allheilmittel, weil jede und jeder ja unterschiedlich darauf reagiert. Ich lasse so etwas nicht an mich heran. Wenn ich das täte, dann wäre ich schon seit Jahr und Tag paranoid. Selbstverständlich antworten wir nicht darauf. Mir ist bewusst, dass derlei Dynamiken große Angst verbreiten können und massiv einschüchtern.
antifa: Wie auch andere linke Bands kennt ihr sicher das Phänomen, dass sich gegen Auftritte rechte Allianzen bilden und schnell die Forderung nach Verboten ertönt.
Torsun: Ja, die Vehemenz dessen ist neu, besonders sind ja Konzerträume im Osten unter Beschuss, die im Zweifelsfall auch bezuschusst werden. Bei der jetzigen Konzertreihe »Linksversiffte Unkultour« gibt es hinter den Kulissen immer wieder Probleme dieser Art. Unsere Labelkollegen von Feine Sahne Fischfilet können da noch anders mit umgehen, auch weil sie so prominent sind. Sie spielen in Dresden und verkaufen zehntausend Tickets, das hat ein großes Gewicht. Bei ein paar hundert Leuten, die auf unsere Konzerte kommen, ist es einfacher, entsprechende Clubs unter Druck zu setzen. Wir werden uns weiter damit auseinandersetzen müssen, auch weil die Wahlen zuletzt ja eine deutliche Sprache gesprochen haben und auch die AfD noch stärker versuchen wird, massiv Einfluss zu nehmen.
Das neue Album »Ihr seid doch auch nicht besser« gibt es seit Mitte September im Handel und zum Download. Infos www.egotronic.net
»Ende September waren wir im thüringischen Mühlhausen auf ein Konzert gegen rechts eingeladen. Der dortige Laden bekam die Maßgabe von den Geldgebern, keine ›Extremisten‹ auftreten zu lassen. Jedenfalls wurde uns dann durch das Ordnungsamt der Kleinstadt bescheinigt, dass es keinerlei Bedenken gäbe. Das hat uns natürlich gefreut, auch amüsiert und wurde von mir auf dem Konzert immer wieder angesprochen. Wir haben es also amtlich: Wir sind keine linksextreme Band!«
Das Interview führte Andreas Sigmund-Schultze