Zensorin in der »Telefónica«
25. Januar 2020
Ilsa Barea-Kulcsars Roman ist erstmals auf Deutsch erschienen
Im November 1936 ist die militärische Lage der Spanischen Republik äußerst ernst. Jeden Tag droht die Einnahme von Madrid, da die franquistischen Putschisten unter General Franco mit Unterstützung der deutschen und italienischen Faschisten bereits am Stadtrand von Madrid stehen. Die solidarische, antifaschistische Bewegung mobilisiert seit Wochen weltweit zu verschiedenartigster Unterstützung der Spanischen Republik.
Die österreichische Autorin Ilsa Barea-Kulcsar, damals 34 Jahre alt, seit früher Jugend in der sozialistischen Arbeiterbewegung aktiv als Journalistin und Propagandistin, fasst den Entschluss, als Journalistin nach Spanien zu gehen. Sie trifft in Madrid ein, als die Regierung gerade nach Valencia evakuiert wurde und für sie keine Arbeitsmöglichkeit in Madrid besteht. Doch sie setzt sich durch, kommt als akkreditierte Journalistin zurück nach Madrid und wird der Presseabteilung des Außenministeriums zugeordnet. Ihre Arbeitsstelle wird die Telefónica, das damals höchste Gebäude in Madrid mit Symbolkraft für die Republik.
In diesem einzigartigen Roman, der sich nur auf wenige Tage im November 1936 und auf das Hochhaus konzentriert, verarbeitet sie ihre Erfahrungen aus den Tagen, die für das damalige Überleben der Republik entscheidend waren.
Es ist ein authentisches und ehrliches Werk, und wie selten erhält der Leser Einblick in das alltägliche Leben von Personen, die unter Kriegsbedingungen in Madrid lebten und arbeiteten.
Die Deutsche Anita spricht zwar kaum spanisch, aber vier weitere Sprachen – eine wichtige Voraussetzung, um mit den ausländischen Journalisten zu kommunizieren. Sie wird als Zensorin eingesetzt, so kann sie in der Auslandsinformationsarbeit am besten helfen. Die Telefónica ist das in – und ausländische Kommunikationsherz der Republik. Ausländische Journalisten arbeiten hier, gleichzeitig ist ein Teil des Hauses militärisches Sperrgebiet – weil Beobachtungspunkt für den Generalstab. Alle Abläufe sind Anita unbekannt. Sie versteht niemanden. Wem ist zu vertrauen? Welche Nachrichten sind vertraulich, was und wie werden die so verschiedenen Journalisten live an ihre Redaktionen weiterleiten? Sie übernimmt sofort eine große Verantwortung, soviel wie möglich aktuelle, für das Ausland interessante Informationen weiterzugeben, ohne die Sicherheit der Republik zu gefährden. Sehr schnell lernt sie, die Front verläuft nur 2 km von der Telefónica entfernt.
Es herrscht großes Mistrauen gegenüber Ausländern, speziell gegenüber ihr als Deutscher. Und ständig vibriert oder schüttelt sich das Riesengebäude, wenn Granattreffer Löcher in die Mauern reißen. Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt.
Die Telefonica ist ein Abbild der neuen, spanischen Gesellschaft. Menschen der verschiedensten politischen Anschauungen und Organisationsformen, Gewerkschaftler, Anarchisten, Sozialisten, Kommunisten, Republikaner, Träger unterschiedlicher politischer Anschauungen ringen um das richtige Tun in einer chaotischen Zeit. In der Stunde der höchsten Gefahr wächst die Einsicht bei einigen Mitgliedern der Arbeiterverwaltung des Hauses, dass über politische Differenzen hinweg gemeinsam gehandelt werden muss.
Die Telefonistinnen, Techniker, Wachsoldaten, Schreibkräfte, Putzfrauen und ständig nachdrängende Flüchtlinge und ausgebombte Madrilenen, die die Kellergeschosse der Telefónica belagerten, waren Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten. Sie lebten und arbeiteten unter ständigem Bombardement, der Heimweg konnte zum Tod führen, sie mussten die Angst vorm Sterben überwinden; es gab Verrat, Eifersucht, Mut, Hoffnung, Hilfe und Zuwendung. Es gelingt der Autorin, die verschiedenen Beziehungen der Handelnden zueinander, ihre Schicksale und Entwicklungen spannend zu erzählen. In wenigen Szenen kann der Leser die traditionelle Rolle der spanischen Frau erkennen und die Chancen, die einige Frauen für ein unabhängiges und selbstbewusstes Leben in der jungen Republik bereits ergriffen haben. So wie der Autorin im wahren Leben in Madrid geschehen, nimmt auch im Roman die unwahrscheinliche Liebesgeschichte der Zensorin Anita ihren Platz ein.
Die gefährlichste Lage für Madrid wurde überwunden. Die standhafte Haltung der Madrilenen kommt in den starken Worten einer Heldin zum Ausdruck: »Wir können doch nicht Schluss machen, denn sonst verlieren wir alle Hoffnung, dass die Welt anders werden kann.«
Im Exil in Paris beendete die Autorin den Roman, zeitgleich mit der Niederlage der Republik und der Einnahme Madrids Ende März 1939.
Es ist ein doppeltes Glück, dass dieser Roman, den eine politisch gebildete, engagierte und überzeugte Antifaschistin ganz dicht an den geschichtlichen Ereignissen lebend für die Nachwelt geschrieben hat, jetzt nach 80 Jahren in Buchform in deutscher Sprache erschienen ist.