Vom Töten und Sterben
24. Januar 2021
Eine Untersuchung der »deutschen Kriegerkultur«
Nach dem Manöver »Flinker Igel« (1984) brachte der kommandierende Generalleutnant Werner Lange die herrschende Meinung auf den Punkt, man habe nichts vom dem verlernt, was den deutschen Offizier und Unteroffizier »schon immer« ausgezeichnet habe. Die im Kalten Krieg vorherrschende Auffassung der Traditionalisten vom Kriegshandwerk schlug die Brücke hin zur Wehrmacht. Auch Autor Sönke Neitzel folgt mit seinem Buch »Deutsche Krieger – Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte« diesen Spuren. Mit den Schlagworten »Kämpfen, Töten und Sterben« wählt er die archaische Seite des Soldaten als Fixpunkte für sein Werk.
Äußerst aufschlussreich sind seine Erkenntnisse zu den öffentlichen Meinungskämpfen in der Traditionspflege. Seit ihrer Gründung lastet ein kriegsaffines Traditionsverständnis wie Mehltau auf den Streitkräften einer freiheitlichen Demokratie. Als Bundesminister Kai-Uwe von Hassel (CDU) 1965 den ersten Traditionserlass unterzeichnete, galten die sogenannten zeitlosen soldatischen Tugenden »Tüchtigkeit und Kampfentschlossenheit« als traditionswürdig. Diese Sicht war wirkungsmächtig bis in die 70er Jahre. Neitzel schreibt über die Zeiten, als die SPD am Ruder war: »So wurden 1970 nach dem Panzerjäger Diedrich Lilienthal, 1975 nach dem Jagdflieger Hans-Joachim Marseille und 1977 nach den Panzergenerälen Oswald Lutz und Adelbert Schulz Kasernen benannt.«
Am 20. September 1982 unterzeichnete Minister Hans Apel (SPD) den zweiten Traditionserlass. Der Kernsatz lautete: »Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen.«
Beispiel Hüttner
General Hans Hüttner wird von Neitzel übergangen. In den dienstlichen Beurteilungen galt Hüttner als »überzeugter Nationalsozialist« und als ein soldatischer Führer, der »vom Nationalsozialismus erfüllt ist«. Am 20. April 1943, an »Führers« Geburtstag, hielt Hüttner in Hof an der Saale eine Durchhalterede: »Einmal wird auch dieser Krieg siegreich zu Ende gehen und dazu wollen wir alle unserem Führer helfen!« Just am 30. April 1985, dem 40. Todestag Adolf Hitlers, wurde die »General-Hüttner-Kaserne« in Hof an der Saale eingeweiht.
In der Einleitung schreibt Neitzel: »Die Marine der Bundeswehr hatte ihre ganz eigenen Probleme mit der Tradition. Das reichte vom Umgang mit den in Nürnberg 1946 verurteilten Großadmirälen Erich Raeder und Karl Dönitz bis hin zur unlängst diskutierten Frage, ob in der Aula der Marineschule Flensburg [Mürwik, JK] eine Büste von Admiral Rolf Johannesson stehen darf, der kurz vor Kriegsende mehrere Todesurteile unterschrieb.«
Spannend sind die Erkenntnisse des Autors über die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht«, über das kulturelle Gedächtnis der Deutschen und auch über die Tradition der Bundeswehr: »Die Ausstellung des HIS (Hamburger Institut für Sozialforschung, Red.) verstärkte nur das, was in Forschung und Teilen der Öffentlichkeit ohnehin schon diskutiert wurde. So tobte in Füssen seit 1988 eine Debatte um die Umbenennung der Eduard-Dietl-Kaserne [sic], die dann im November 1995 erfolgte – noch bevor die öffentliche Diskussion um die Wehrmachtausstellung richtig hochkochte.« An dieser Stelle muss unbedingt eine historisch-kritische Kontextualisierung hinzugefügt werden: Hitlers persönlicher Wunsch vom Juli 1944, dass Dietls Name »in seiner stolzen Gebirgsarmee weiterleben wird«, ging in Erfüllung. 20 Jahre später, im Mai 1964, wurde Dietl Kasernenpatron der Bundeswehr in Füssen; ein Jahr später wurde der Dienstgrad Generaloberst dem Kasernennamen hinzugefügt. Ende März 1988 nannte der scheidende Standortälteste von Füssen die Befürworter der Umbenennung »unzufriedene, ja beinahe unmündige Staatsbürger«. Wer gegen diese Neuauflage falscher Glorie öffentlich Stellung bezog, stieß auf erbitterten Widerstand in Form von anonymen Anrufen, Zuschriften und Morddrohungen. Vielleicht gehören diese völkisch-reaktionären Ausfälle zur »tribal culture«? Nirgendwo stellt Neitzel die Frage, warum die Anstöße zu überfälligen Neubenennungen aus der Zivilgesellschaft kommen.
Nur mit ungläubigem Staunen vernimmt der kundige Leser auch diesen Satz: »Einen Nachfolger Georg Bruchmüllers, jenes legendären Oberst, der 1916/17 das deutsche Artillerieschießverfahren revolutioniert, gab es in der Wehrmacht nicht.« Richtig ist vielmehr: Durch den völkerrechtswidrigen Einsatz der Giftgase Blaukreuz und Grünkreuz konnte Bruchmüller entscheidende Schlachten gewinnen. Am 13. November 1938 wurde die Liegenschaft »Deines-Bruchmüller-Kaserne« in Koblenz-Lahnstein feierlich eingeweiht. Wenige Tage zuvor, in der Reichspogromnacht am 9. November 1938, hatten die Nazis gegen die Juden in Koblenz-Lahnstein gewütet. Diese Ausschreitungen waren nur der Vorbote. Sie führten schließlich in die fabrikmäßige Vernichtung der jüdischen Minderheit durch Giftgas. Unter dem Decknamen »Zyklon B« wurde Blaukreuz zum Massenmord in den Vernichtungslagern verwendet.