Den Gerichten ihre Einzeltäter

geschrieben von Erika Klantz

5. Februar 2021

Zum Urteil gegen den Halle-Attentäter

Der deutsche Rechtsstaat hat sich wieder wehrhaft gezeigt gegen den Terror. So oder so ähnlich heißt es seit dem 21. Dezember in vielen Kommentaren von Politiker*innen und Journalist*innen. Stephan Balliet ist zur höchstmöglichen Strafe verurteilt worden: lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Das ist das vorläufige Ergebnis des Strafverfahrens um das versuchte Massaker in der Synagoge von Halle und den anschließenden Amoklauf mit zwei Toten. Zwei Menschen überlebten die Schussverletzungen, weitere wurden von den Schüssen des Täters glücklicherweise nicht getroffen. Hier soll es nicht darum gehen, ob die Verteidigung oder einzelne Nebenkläger*innen Rechtsmittel einlegen werden und welche Erfolgsaussichten das hätte.

Hervorzuheben ist, dass es in einem Mordprozess gegen faschistische Täter offensichtlich unmöglich ist, die gesellschaftlichen Ursachen zu benennen sowie die Unterstützer und Claqueure mitanzuklagen  – wie schon im NSU-Prozess zu sehen war. So konnte auch diesmal nicht offengelegt werden, was den 28 Jährigen zu seiner Tat getrieben hatte und in welchem Umfeld dies möglich war. Sicher, der Mann war langjährig arbeitslos, soziale Bindungen fehlten und er wohnte zusammen mit seiner Mutter. Im Internet bastelte er sich ein faschistisches Weltbild und in der realen Welt Waffen. Die Pläne dazu hatte er aus dem Internet. Es ist der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens hoch anzurechnen, dass sie dem Täter den Lebensweg der beiden Mordopfer und anderer Überlebender entgegenhielt und somit auch an sie erinnerte. Doch mehr trauten sich Bundesanwaltschaft und Gericht nicht zu.

Solidarität mit den Opfern des Anschlags am 9. Oktober 2019 in Halle: Mehr als 7000 Menschen beteiligen sich wenige Tage später in Berlin an einer Demonstration des #unteilbar-Bündnisses. Foto: christian-ditsch.de

Solidarität mit den Opfern des Anschlags am 9. Oktober 2019 in Halle: Mehr als 7000 Menschen beteiligen sich wenige Tage später in Berlin an einer Demonstration des #unteilbar-Bündnisses. Foto: christian-ditsch.de

Wer den Täter im weltweiten Netz und außerhalb bei seiner Radikalisierung unterstützte, wissen vielleicht Ermittler*innen. Auf die Anklagebank wurden sie nicht gebracht. Bekannt ist, dass der junge Mann seine Tat mit einer Helmkamera filmte und sie live ins Internet übertrug. Wer diese Liveübertragung sah, die Absicht positiv kommentierte oder die erfolglosen Versuche verhöhnte, in die Synagoge zu kommen, mag von den Ermittler*innen und Journalist*innen aufgedeckt worden sein. Die Bundesanwaltschaft als Anklagevertreterin sah keinen Grund, dem im nötigen Maße nachzugehen. Für Ankläger und Gericht ist B. der Einzeltäter par excellence. Dieser Einzeltätertheorie traten Nebenklagevertreter entgegen. Ihnen ist zuzustimmen. Zwar hat niemand bei der unmittelbaren Tatausführung geholfen, niemand hat Waffen zur Verfügung gestellt, Pläne besorgt oder Anweisungen gegeben. Doch wahr ist auch, dass niemand im Internet allein ist und in der Realität wohl auch nicht.

In der Bundesrepublik wird die Einzeltätertheorie seit dem ersten Auftauchen neurechter Gewalt herbeigeredet. Die Archive von Zeitungen antifaschistischer Organisationen – wie der unseren – zeigen dies schon lange und die Periodika müssen, so ist es zu befürchten, darauf auch in Zukunft immer wieder hinweisen.

Das freie »Radio Corax« hat in Zusammenarbeit mit Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage und dem AK Protest im Studierendenrat der Uni Halle-Wittenberg einen 26teiligen Podcast mit dem Titel »Halle nach dem Anschlag« produziert. Zu finden bei den Streamingdiensten Apple Podcasts und Spotify.

Weitere Infos: anschlag.halggr.de