Was wirklich war
17. März 2021
Wissenschaftliche Analyse des kommunistischen Widerstands neu erschienen
»Für mich ist es die umfassendste, die beeindruckendste, aber auch die bewegendste Darstellung des deutschen kommunistischen Widerstandes, die ich je gelesen haben.« Peter Gingold
Das vorliegende Buch des britischen Historikers Allan Merson erschien ursprünglich in London 1985, ein Jahr später dann auch in den USA. Es mag auf den ersten Blick verwundern, dass ein Buch, das sich mit der deutschen Geschichte beschäftigt, erst 14 Jahre später, also 1999, auch hierzulande veröffentlicht wurde. Insbesondere dann, wenn man bedenkt, dass in dieser Zeit in der Bundesrepublik keine vergleichbar umfassende Darstellung des deutschen kommunistischen Widerstands erschien.
Auf dem zweiten Blick aber verwundert das dann doch nicht. Ralf Jungmann stellt das in seinem Vorwort umfassend dar: Deutschland tat sich immer sehr schwer damit, seine Widerstandskämpfer und -kämpferinnen zu würdigen. Erst spät konnte man sich zu einem offiziellen Gedenken durchringen. Das beschränkte sich zudem auf die Männer des 20. Juli; später auch der »Weißen Rose«. Kommunisten, die weitaus größte Widerstandsgruppe in Deutschland, hatten folglich keine Anerkennung verdient. Vergessen, verdrängt und verfälscht wurde die Tatsache, dass von den 360.000 KPD-Mitgliedern (Stand: 1933) ca. 150.000 verhaftet wurden und ca. 30.000 ermordet worden sind. Während in Ländern wie Italien und Frankreich der Beitrag der Kommunisten nicht nur nicht geleugnet wurde, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung fand (im Übrigen auch der von deutschen Kommunisten im dortigen Widerstand), herrscht in der BRD eisiges Schweigen.
Systematische Leugnung
Wieso dieser Exkurs über deutsche Erinnerungspolitik? Nur wer sich der systematischen Leugnung der Leistungen der deutschen Kommunisten im Widerstand bewusst ist, kann den unermesslichen Wert dieses Buches verstehen. Es ist dem Verlag dafür zu danken, dass dieses in Deutschland nahezu unbekannte Buch nach 35 Jahren erneut veröffentlicht wurde.
In fünfzehn Kapiteln liefert Merson die umfassendste in der BRD erschienene Analyse des deutschen kommunistischen Widerstands. Er beginnt mit einer Darstellung der »Übergangsperiode« nach der Illegalisierung der KPD 1933 und liefert dabei auch noch eine äußerst dichte Kurzdarstellung des organisatorischen Bestands der Partei in den 1930ern. Merson beschreibt eindrücklich die »Erste Phase« des KPD-Widerstands von 1933 bis 1935, der sich noch stark an den politischen Aktionen der Legalität bzw. der Illegalitätserfahrungen in Weimar orientierte. Er schildert anschaulich, mit welcher Loyalität, Disziplin und Selbstaufopferung Tausende Kommunisten (zum größten Teil Facharbeiter) und Kommunistinnen Widerstand leisteten, indem sie Flugblätter verteilten, in Betrieben Widerstand organisierten usw. Zugleich macht er aber in einer akribischen, beispielhaften Analyse u. a. des Düsseldorfer Widerstands deutlich, dass die Unterschätzung des politischen Gegners in Form von Gestapo, Gerichten und Politischer Polizei einen hohen Blutzoll forderte.
Ziel: Widerstand neu aufstellen
Der Zeitraum von 1935/36 bis 1939 ist dann geprägt von dem Versuch, die hohen Verluste der ersten zwei bis drei Jahre zu kompensieren und eine breitere Widerstandsbewegung in Deutschland (Stichwort: Volksfront) zu initiieren. Der Widerstand wurde dezentraler, teilweise lösten sich Gruppen auf, teilweise ging der Kontakt zur Exilführung verloren. Einige tausend Kommunisten beteiligten sich am Spanischen Bürgerkrieg, andere versuchten, die zerschlagenen Strukturen zu reorganisieren.
Absurd erscheint nach der Lektüre Mersons der Vorwurf, die Kommunisten hätten aufgrund des Nichtangriffspaktes vom August 1939 zwischen der UdSSR und Nazideutschland den Widerstand eingestellt; noch im Herbst 1939 erfolgte etwa der Versuch, wieder eine zentrale, innerdeutsche Leitung aufzubauen. Mit dem Angriff auf die So-wjetunion verstärkten sich aber die Tätigkeiten der Kommunisten. Merson beschreibt das sowohl anhand des Widerstands »im Kleinen«, im Betrieb, als auch auch an größeren Netzwerken wie der Schulze-Boysen-Harnack-Gruppe oder der größten (und kaum gewürdigten) Widerstandsorganisation: dem Nationalkomitee Freies Deutschland.
Er schließt das Buch mit einem Kapitel zum Erbe des kommunistischen Widerstands und der Aussage: »Die ganze Geschichte des kommunistischen Widerstands wird man nie erfahren. Aber was bekannt ist, reicht aus, um klar herauszustellen, dass es nicht um die Geschichte einiger weniger Heldinnen und Helden handelt (auch wenn es genug Heroismus gab), sondern um einen ungebrochenen, zwölf Jahre währenden Kampf von vielen tausend einfachen arbeitenden Menschen.«
Der Widerstand aus der Arbeiterbewegung, und hier insbesondere der Widerstand der Kommunisten, blieb ein »rotes Tuch« in einem Land, dessen historisch-ideologische Kontinuität vom Kaiserreich über Weimar und den Faschismus bis zur BRD der Antikommunismus bildet