Vertraute Rhetorik
16. April 2021
Ob nach den Hanauer Morden etwas anders wird, ist fraglich
Mitte Februar erinnerten bundesweit mehrere Zehntausend Menschen an die rassistischen Morde im hessischen Hanau vor einem Jahr. Am 19. Februar 2020 erschoss Tobias Rathjen neun Menschen. Danach erschoss er sich und seine Mutter in der elterlichen Wohnung. Wie schon kurz nach der Tat, beeilten sich Politiker*innen bis hoch zum Bundespräsidenten, lückenlose Aufklärung zu versprechen. Der Staat stehe, so Steinmeier, in einer »Bringeschuld«. Wie ernst solche Versprechungen zu nehmen sind, zeigt die Bilanz der Aufklärung der Morde des NSU, der sich vor fast zehn Jahren selbst enttarnte. Das Netzwerk hinter den Haupttäter*innen blieb von der lückenhaften Aufklärung verschont, Zusammenhänge mit behördlichem Handeln wurden nicht hergestellt, und wenn sie nicht zu ignorieren waren, wurden Erkenntnisse verschleppt und hatten wenig Konsequenzen. Der polizeilich-geheimdienstliche Apparat, der eine gehörige Mitverantwortung für die Taten des NSU trägt, wurde hingegen ausgebaut.
Der Verdacht liegt also nahe, dass auch Hanau zu keiner Zäsur führen wird. Immerhin mussten diesmal, anders als die Familien der NSU-Opfer, die Angehörigen der Hanauer Opfer nicht um den Status als vollwertige Mitbürger*innen kämpfen. Das Motiv Rassismus wurde als solches benannt und durch die Politik auch als strukturelles Problem anerkannt. Nur die Konsequenzen lassen auf sich warten. Während Steinmeier nur für »Vertrauen in den Staat« werben kann, klagen die Angehörigen wirkmächtig an. Sie zu unterstützen, an konkreten Forderungen zu arbeiten und die Umsetzung hartnä-ckig zu überwachen, ist Aufgabe aller, die die Tat von Hanau nicht als Einzelfall abtun. Der Kampf gegen Rassismus kann keine Sache der Sicherheitsbehörden sein. Ihnen diese Kompetenz abzusprechen und die zivile Bearbeitung zu stärken, wären erste Schritte, um der Rhetorik Taten folgen zu lassen.