Fanatiker überzeugen?
17. Mai 2021
Die Nähe zwischen Erich Fried und Michael Kühnen thematisiert ein neues Buch
Der Dichter und Übersetzer Erich Fried wäre im Mai dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat sich der Journalist Thomas Wagner in einem neuen Buch mit einer Episode aus dem Leben Frieds beschäftigt. Erich Fried verband angeblich eine Freundschaft mit Michael Kühnen, dem wohl bekanntesten deutschen Neonazi der siebziger und achtziger Jahre. »Eine deutsche Freundschaft« heißt das Buch im Untertitel.
Beleg für diese freundschaftliche Verbindung sind 16 Briefe, die sich die beiden Männer geschrieben haben. Dem Briefwechsel war eine Einladung an Kühnen und Fried zu einer gemeinsamen Diskussion in der Sendung »Drei nach neun« von Radio Bremen im Januar 1983 vorausgegangen. Vor dem Eingang zu dem Sendestudio in Bremen-Osterholz demonstrierten Antifaschisten seinerzeit gegen den öffentlichen Auftritt Kühnens. Die VVN-BdA Bremen hatte neben anderen Organisationen zur Teilnahme aufgerufen. In dem neuen Buch von Thomas Wagner heißt es dazu: »Das Transparent der Deutschen Friedensunion verkündete ›Nie wieder Faschismus! Gemeinsam für die Verteidigung der Grundrechte und Sicherung des Friedens.‹ Die Schilder der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) forderten das sofortige ›Verbot aller faschistischen Organisationen‹ und ›Freundschaft mit Ausländern‹. Während ein Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) begrüßte, dass Kühnen fünfzig Jahre nach der In-die-Macht-Setzung der Nazis kein Rederecht« (S. 9) erhielt.
Ausladung Kühnens aus TV-Show missfiel Fried
Fried war bereits im Studio, als Programmdirektor Hans-Werner Conrad die Entscheidung, Kühnen wieder auszuladen, bekanntgab. In seiner Begründung sagte Conrad, dass es eine »Angst davor gibt, dass solche Leute wieder in die Öffentlichkeit treten« könnten. Aus der Diskussion über einen erstarkenden Neonazismus in Deutschland wurde in wenigen Minuten eine Auseinandersetzung zur Frage, wie mit Neonazis umzugehen ist. Erich Fried vertrat dabei die Position, dass er verstehen kann, wenn öffentlich nicht mit Neonazis gesprochen werden soll, wenn aber die Entscheidung gefallen sei, einen in eine Talkshow einzuladen, mache es keinen Sinn, ihn kurz vor der Sendung wieder auszuladen.
Der pensionierte Jurist Dietrich Wilde, der während des Faschismus Wahlverteidiger von Angeklagten aus der Widerstandsgruppe des 20. Juli war, argumentierte gegen die Position von Erich Fried. Man könne »Fanatiker nicht überzeugen« oder »zu Geständnissen bewegen, sich zur Menschlichkeit zu bekennen. Das ist nicht möglich« (S. 10), so Wilde. Irritierenderweise nennt Wagner Wilde in seinem Buch Dietrich Güstrow. Unter diesem Pseudonym hatte Wilde zuvor das Buch »Tödlicher Alltag – Strafverteidiger im Dritten Reich« veröffentlicht.
Michael Kühnen verfolgte die TV-Show schließlich zusammen mit anderen Neonazis und rief nach der Sendung beim Radio Bremen an, um sich bei Erich Fried zu bedanken. Aus diesem Telefonat sind mehrere Briefe entstanden, der erste von Kühnen an Fried am 27. Dezember 1984, der letzte von Kühnen am 23. April 1986. Kühnen schrieb also den ersten Brief erst fast zwei Jahre nach der Sendung.
Irritierende Vertrautheit
Erich Fried sieht in den Briefen die Bereitschaft von Kühnen, sich mit seinen Ideen auseinanderzusetzen, und hofft, dass er die ideologischen Überzeugungen des überzeugten Nazis erschüttern kann. Damit eine offene Atmosphäre entsteht, kommt Fried Kühnen immer wieder sehr nahe. Eine Vertrautheit, die manchmal irritierend wirkt. In einem Brief bietet er Kühnen sogar an, für ihn vor Gericht auszusagen und zu bestätigen, dass er ein Idealist ist, der den falschen Vorstellungen verfallen sei. Lassen sich die Briefe Frieds von Antifaschist:innen vielleicht noch mit Kopfschütteln lesen, sind die Antworten von Kühnen unerträglich. Einmal schickt Kühnen Fried ein schmalziges Gedicht über eine Mutter und schreibt dazu, dass ein Mann, der so ein Gedicht über eine Mutter geschrieben hat, doch kein schlechter Mensch sein kann. Der Autor des Gedichts war Adolf Hitler. Von ähnlichem Kaliber ist sicher, wenn Erich Fried, dessen Vater in Wien von einem SS-Mann erschlagen und dessen Familie zu einem großen Teil in Auschwitz ermordet wurde, in einem Brief von Kühnen lesen muss, dass es zwar Tote in Auschwitz gegeben habe, aber nicht die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas.
Erich Fried hat bereits in Interviews, die er in den achtziger Jahren gegeben hat, von seinem Kontakt zu Kühnen gesprochen, viele – darunter auch ich – waren schon damals entsetzt und konnten sie nicht nachvollziehen. Fried vertritt die Sicht, derzufolge jeder Nazi und Verbrecher auch ein Mensch ist. Es ist schade, dass zum 100. Geburtstag von Erich Fried dieses Buch herausgebracht wurde. Deutlich wird, es lohnt nicht, sich mit überzeugten Nazis so auseinanderzusetzen. Lesenswert ist das Buch an Stellen, wo die Neonazistrukturen der siebziger und achtziger Jahre beschrieben werden. Ärgerlich und nicht zu empfehlen ist es dennoch.