Terror wurde Normalität
6. November 2021
Antijüdische Angriffe in Berlin während der Weimarer Republik
Nach dem Ersten Weltkrieg und der Zerschlagung der Novemberrevolution 1918 formierten sich in Berlin neue rechts-konservative und nationalistische Organisationen. Sie fungierten als Sammelbecken für die sogenannten Verlierer des Krieges. Schon zügig wurde auf Versammlungen und in Schmähschriften dieser reaktionären Gruppierungen ein Sündenbock gefunden. Es hieß, die Juden seien für die Niederlage und die daraus folgenden Krisen verantwortlich. Die Weimarer Republik wurde in konservativen und rechtsradikalen Kreisen als »Judenrepublik« diffamiert und ihre neue Fahne »Schwarz-Rot-Gold« als »Judenfahne« verunglimpft. Bereits 15 Jahre vor der Machtübertragung an die NSDAP bediente man sich in Hetzpamphleten antisemitischer Stereotype und rief zur Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung von Berlin auf.
Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts spielte sich das jüdische Leben vornehmlich an zwei Orten in der Stadt ab. Um den Kurfürstendamm residierte der eher wohlhabende, assimilierte Teil der jüdischen Gemeinde, und nördlich vom Alexanderplatz lebten die ärmeren osteuropäischen Einwanderer. Sehr viele dieser jüdischen Migrant*innen kamen nach Berlin, weil sie bereits in ihren Heimatländern antisemitischen Pogromen ausgesetzt waren. Des Weiteren wohnten im Scheunenviertel jüdische Arbeiter*innen aus Osteuropa, die während des Kriegs vom Staat für die Arbeit in der Kriegswirtschaft nach Deutschland geholt und teilweise auch zwangsrekrutiert worden waren. So überrascht es nicht, dass viele der antisemitisch fundierten Übergriffe in diesen Kiezen stattfanden. Schon in den ersten Jahren nach dem Krieg fanden im Scheunenviertel Razzien statt und wurden jüdische Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft inhaftiert und teilweise abgeschoben. Bei einer Razzia im März 1920 wurden im Scheunenviertel 282 Jüd*innen verhaftet und in ein Lager in der Nähe von Berlin verschleppt. Das Innenministerium errichtete in Cottbus-Sielow und in Stargard (Pommern) ein Lager für die Internierung von Menschen, die als unerwünschte Ausländer*innen ausgemacht wurden. Diese wurden aus finanziellen Gründen im Dezember 1923 wieder aufgelöst.
Die Lage eskaliert
Durch die systematische Hetze und ständigen Aufrufe, die jüdischen Bürger*innen zu erschlagen, fühlten sich rechtsradikale Gruppen angetrieben, diese Forderung in die Tat umzusetzen. Matthias Erzberger, Finanzminister, wurde im August 1921 getötet. Am 24. Juni 1922 wurde der jüdische Außenminister Walther Rathenau von Angehörigen der faschistischen »Organisation Consul« auf offener Straße ermordet. Nur wenige Tage später, am 3. Juli 1922, verübten Anhänger des Freikorps einen Anschlag auf den Publizisten Maximilian Harden, den er nur knapp überlebte. Am 5. November 1923, auf dem Höhepunkt der Hyperinflation, kam es in verschiedenen Teilen der Innenstadt zu gewalttätigen Übergriffen auf jüdische Berliner*innen. Am gravierendsten traf es die jüdischen Bewohner*innen des Scheunenviertels. Tausende Arbeitslose, angestachelt von völkischen Scharfmachern, zogen durch den Kiez und demolierten jüdische Geschäfte, drangen in Häuser ein und verprügelten die dort lebenden Menschen. Als Mitglieder des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten versuchten, dieser Gewalt etwas entgegenzusetzen, wurden sie verhaftet und von der Polizei misshandelt. Nachgewiesen wurde auch, dass die Polizei viel zu spät reagierte und erst am nächsten Tag diesen Pogrom beenden konnte.
Düstere Wolken am Horizont
1926 wurde Joseph Goebbels von Hitler zum Gauleiter von Berlin ernannt. Goebbels heizte die antisemitische Hetze in Berlin gewaltig an. Er startete eine öffentlichkeitswirksame Kampagne, den Kurfürstendamm »judenfrei« zu machen. Immer wieder griffen Angehörige der SA Juden oder ihrer Meinung nach jüdisch aussehende Personen auf der Hauptgeschäftsstraße im Berliner Westen an. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 verschärfte die politische und soziale Situation in der Stadt. Die NSDAP machte das »jüdische Kapital« für diese Krise verantwortlich. Nach der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Reichstags am 13. Oktober 1930 kam es in der Gegend um die Leipziger Straße zu einem pogromartigen Gewaltexzess. Anhänger der NSDAP zertrümmerten Fensterscheiben von jüdischen Warenhäusern, Banken und anderen Geschäften. Die Polizei erschien erst, nachdem die Nazis sich ausgetobt hatten.
Das zu späte Erscheinen der Ordnungshüter bei antisemitischen Ausschreitungen wurde Normalität. Auch die Strafverfolgung und die juristische Aufarbeitung endeten oft mit einer herben Enttäuschung für die Opfer. Dies war auch der Fall bei dem von der SA organisierten Pogrom am Tag des jüdischen Neujahrsfestes am 12. September 1931 auf dem Kurfürstendamm. Dieser eklatante Antisemitismus während der Weimarer Republik wurde mit der Machteinsetzung Hitlers im Jahr 1933 zur mörderischen Staatsdoktrin.
Quellen dieses Beitrags:
Bernd Kruppa: Rechtsradikalismus in Berlin 1918–1928. Overall-Verlag, Berlin 1988
Geschichte der Abschiebehaft, ZAG Berlin
Dr. Reiner Zilkenat: Zur Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Berlin–Brandenburger Bildungsverein e. V., Seminarmaterial der Rosa-Luxemburg-Stiftung, November 2004
Arnold Vinkeles dankt Stefan Knobloch für seine Unterstützung bei der Recherchearbeit für diesen Beitrag.