Ruf zur Umkehr
8. März 2022
Gedenkbuch über Hans Paasche: Vom Leutnant zum Kritiker des preußischen Militarismus
Hans Paasche, 1881 in Rostock geboren, wuchs in einem großbürgerlichen, national-protestantisch geprägten Elternhaus in Berlin auf. Seine Jugend fiel in jene Zeit, da Großadmiral von Tirpitz mit seinen Plänen, die Flotte aufzurüsten, reichsweit Begeisterung auslöste.Auch den jungen Preußen Paasche packten die Träume von Weltmacht und Seegeltung. Es drängte ihn zur Marine; 1899 wurde er Seekadett, ab 1904 Leutnant im Küstenwachdienst in Deutsch-Ostafrika, ab 1906 war er Befehlshaber der deutschen Schutztruppe am Rufiji gegen den Maji-Maji-Aufstand. Einmal befiehlt er sogar, Gefangene zu erschießen. 1909 nahm er seinen Abschied als Kapitänleutnant.
Taumel der Kriegsbegeisterung
Ab 1911 war er gegen Krieg aktiv. Aber im August 1914 wurde auch er vom Taumel der nationalen Kriegsbegeisterung angesteckt. Er glaubte, Deutschland führe einen Verteidigungskrieg und meldete sich zum Dienst in der Marine. Misstrauen schlug ihm entgegen, da man von seinen pazifistischen Auftritten gehört hatte. Er wurde Beobachter auf einem Leuchtturm vor Bremerhaven, später übernahm er eine Kompanie Marinesoldaten in Wilhelmshaven. Im Januar 1916, mitten im Krieg, wurde er entlassen, da er sich weigerte, an einem Standgericht gegen einen Matrosen teilzunehmen.
Seine Kriegsgegnerschaft gewann neue Konturen; im Oktober 1917 wurde er verhaftet. Die Anklage lautete auf »Aufforderung zum Hochverrat und versuchten Landesverrat«. Die Einweisung in eine Nervenheilanstalt (»militärische Schutzhaft«) rettete ihm das Leben. Im November 1918 wird er von aufständischen Matrosen befreit. Er wird in den Soldatenrat der Berliner Garnison gewählt. Als im Januar 1919 ein leerer Sarg für Rosa Luxemburg zu Grabe getragen wird, erweist er ihr die letzte Ehre mit einem blutroten Kranz. Bei öffentlichen Auftritten attackiert er den preußischen Militarismus und – in der Gestalt des heimkehrenden Generals von Lettow-Vorbeck – den Kolonialismus.
Opfer eines Fememordes
Freunde warnen ihn vor einem geplanten Anschlag Rechtsradikaler. Am 21. Mai 1920 erscheinen zwei Offiziere mit etwa fünfzig Soldaten auf dem Gut Waldfrieden, wohin sich Paasche zurückgezogen hat. Mit einem Schuss mitten ins Herz wird er getötet. Soldaten grölen siegestrunken: »Hakenkreuz am Stahlhelm, / schwarz-weiß-rot das Band, / die Brigade Ehrhardt / werden wir genannt. / Die Brigade Ehrhardt / schlägt alles kurz und klein. / Wehe dir, wehe dir, / du Arbeiterschwein!« – Zum historischen Kontext: Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt war der Führer dieses Freikorps. Nach der erzwungenen Auflösung der Brigade gründete er die Organisation Consul, die zahlreiche Fememorde beging. Sein Stellvertreter war der Marineoffizier Karl Tillessen. Als er nach dem Mord an Walther Rathenau gesucht wurde, versteckte er sich für einige Tage in Mürwik bei seinem Bruder Werner, dem Kommandeur der dortigen Marineschule. Heinrich Tillessen, der dritte der Gebrüder, war einer der Mörder von Finanzminister Matthias Erzberger.
Stimme für neues Denken
Das Fazit lautet: Als einsamer Rufer in der Wüste des Militarismus und Kolonialismus rief Hans Paasche auf zur Umkehr; er erhob seine Stimme für ein neues Denken (»Ändert euren Sinn!«), er forderte die Abkehr vom Konsumdenken, und gleichzeitig warnte er vor der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Der Historiker Lothar Wieland (Bremen) gelangte zu diesem Urteil über Paasche: »Die Forderung nach geistig-moralischer Überwindung des preußisch-deutschen Militarismus erzeugt den Hass der Verschwörer, seiner ehemaligen Standesgenossen, die die neue Staatsform ablehnen und ihn, den ›Sympathisanten des Kommunismus‹, ›auf der Flucht‹ erschießen.« Oder in den Worten des ehemaligen Seeoffiziers Bodo Herzog (Oberhausen): »Für die Marine war Paasche eine Schande, er wurde gehasst. Deshalb wurde er ermordet.«
Zu guter Letzt gilt die uneingeschränkte Anerkennung des Rezensenten dem Verleger Helmut Donat (Bremen) für dieses vorbildlich ausgestattete – und dennoch preiswerte – Gedenkbuch. Gewürdigt werden muss an dieser Stelle auch Donats beispielhafte Akribie, sein ansteckendes Sendungsbewusstsein wie auch seine humane Orientierung.