Fakten schaffen?
13. Mai 2022
Frieden schaffen ohne Waffen: Zum Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden
Kurz nach dem Überfall russischer Truppen auf die Ukraine verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 27. Februar eine »Zeitenwende«. Der Angriffskrieg Russlands war für ihn Anlass, den im Bundestag versammelten Parlamentarier*innen zu eröffnen, dass die Bundesregierung ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung der Bundeswehr schaffen möchte, welches im Grundgesetz verankert werden soll. Außerdem kündigte Scholz die Aufstockung des regulären Wehretats auf zwei Prozent des BIP an und erfüllte so ein lang gehegtes Ziel von Rüstungslobby und NATO.
Die derzeitige Bundesregierung, in der einige Mitglieder von diesen Plänen überrumpelt wurden, wollte angesichts der Schockwirkung des Krieges und der öffentlichen Stimmung Fakten schaffen. Die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen sahen sich veranlasst, dieser Ankündigung mit Stehbeifall zu begegnen. Zwar wird in der medialen Debatte immer kolportiert, dass die 100 Milliarden Sondervermögen und die Aufstockung des Wehretats beschlossene Sache sind, aber bisher gibt es keinen solchen Parlamentsbeschluss – auch wenn wahrscheinlich ist, dass ein entsprechendes Gesetz u. a. dank der Unionsfraktionen die nötige Zweidrittelmehrheit finden würde.
Der Militärlogik widersetzen!
Für Pazifist*innen und Antimilitarist*innen besteht noch die Möglichkeit, auf Parlamentarier*innen Einfluss zu nehmen. Insbesondere die Abgeordneten der SPD sind noch nicht zur Gänze auf den Aufrüstungskurs der Bundesregierung eingeschwenkt. Hier gilt es jene zu unterstützen, die sich der Logik des Militärischen widersetzen, und für eine Strategie der Abrüstung und des Friedens zu werben. Ein mögliches Mittel ist die direkte Ansprache der Bundestagsabgeordneten. Alternativ gilt es aber auch zu zeigen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung nicht hinter den Aufrüstungsplänen steht, weil so noch mehr Geld für die notwendige sozial-ökologische Transformation, Bildung, Pflege usw. fehlen wird. Dafür eignet sich unter anderem die Verbreitung des von Andrea Ypsilanti (SPD) und anderen Prominenten initiierten Appells »Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!«.
Wir müssen aber auch überlegen und diskutieren, welche nicht-militärischen Mittel es gibt, um Kriege zu verhindern bzw. zu beenden. Im Fall Russlands sind durch die BRD noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Das gezielte Einfrieren der Bankkonten oder der Einzug von Vermögenswerten (Immobilien, Jachten etc.) von russischen Milliardären und Millionären wären mögliche Maßnahmen. Die Bundesregierung ist bei der Umsetzung solcher Sanktionen, die eben nicht die Bevölkerung, sondern die russische Elite treffen, europaweit Schlusslicht. Hier kann und muss Druck gemacht werden, sind dies doch Instrumente, die prinzipiell zur Sanktionierung von Kriegen nutzbar wären.
Schulterschluss grenzenlos
Insgesamt gilt: Frieden muss wieder von unten gedacht werden. Der Schulterschluss von Pazifist*innen und Antimilitarist*innen über nationalstaatliche Grenzen hinweg muss intensiviert werden. Bisher haben Medien und Friedensbewegung kaum ein Wort über die belarussischen Eisenbahner*innen, die zu Beginn des Krieges in der Ukraine Schienen sabotierten und so dem russischen Angriffskrieg einen empfindlichen Dämpfer versetzten, gesprochen. Die Sabotage war nicht gewaltfrei, aber es wurden keine Menschenleben in Gefahr gebracht, und sie war vermutlich die effektivste antimilitaristische Aktion des gesamten Krieges. Ähnliches gilt für die genuesischen Hafenarbeiter*innen, die das Verladen von NATO-Kriegsgerät boykottierten. Ebenso werden die vielen tausend Menschen, die sich in Russland gegen diesen Krieg stellen, kaum beachtet. Hierzulande sind selbst in der Friedensbewegung Unterstützungsmöglichkeiten für jene Menschen nahezu unbekannt (bspw. über die Antirepressions-NGO OVD). Das mag mit Sprachbarrieren zusammenhängen, hat aber auch etwas mit Selbstreferenzialität und Staatsfixiertheit zu tun. Nicht umsonst haben Initiativen wie die anarchistisch inspirierten »Food not Bombs« – Suppenküchen, die seit den 90er-Jahren in allen osteuropäischen Staaten existier(t)en – praktisch keinerlei westeuropäische Aufmerksamkeit erfahren, dabei waren sie regelmäßig Ziel neofaschistischer Gewalt und staatlicher Repression. Die Friedensbewegung muss, wenn sie sich nicht an geopolitischen oder geostrategischen Lösungen für imperiale Mächte abarbeiten will, solche Leerstellen füllen.
Friedenspolitik von unten heißt: abrüsten statt aufrüsten; an Parlamentarier*innen klare antimilitaristische Forderungen stellen; friedliche Lösungswege aufzeigen; zivile Sanktionsmöglichkeiten finden, die gegen die Machtelite gerichtet sind und diese zum Einlenken bewegen können; eine globale Vernetzung von Pazifist*innen und Antimilitarist*innen; (materielle) Solidarität dort üben, wo Menschen für eine friedliche Welt Freiheit, Leib und Leben riskieren.