Gefährliche Relativierung
1. Juli 2022
Rechte Parlamentarier in Kinofilmen: Als hätte die AfD das Drehbuch geschrieben
Gleich zwei aktuelle Kinofilme zeigen Parlamentarier der AfD unkommentiert auf ihrem Terrain. Das Stilmittel, auf einen Kommentar und jegliche Einordnung zu verzichten, mag bei Naturdokumentationen beruhigend wirken, bei AfD-Propaganda ist es einfach nur verstörend und trägt zur weiteren Verklärung und nicht zur Aufklärung über die Partei und ihre Funktionäre bei.
Im Film »Volksvertreter« dokumentiert Andreas Wilcke das Ankommen der AfD im Bundestag. Seit 2017 hat er für drei Jahre Norbert Kleinwächter (Brandenburg), Enrico Komning (Mecklenburg-Vorpommern), Götz Frömming (Berlin) und Armin-Paulus Hampel (Niedersachsen) begleitet und sie bei der Arbeit gefilmt. Sie sitzen in Büros, diktieren Reden, überlegen genau, wie welcher Satz, welches Wort ankommt, analysieren Reden, deuten herrschende Narrative um und machen all das, was wir auch von anderen (Oppositions-)Parteien kennen: Sie inszenieren sich, ihre Person, ihre Partei und vor allem die Unterschiede zu den Mitbewerbern innerhalb und außerhalb ihrer Reihen. 90 Minuten geht das so. Mehr oder weniger grobe Bildungsbürger, die einem nicht vorgestellt werden, reden aufgeregt über Merkel, über Medienhetze und über Mitglieder anderer Parteien. Sie sprechen dabei nicht zur Kamera. Die läuft einfach so mit und hält manchmal die Stille aus. Das macht den Film laut Spiegel zu einem »leisen Film« zu einer sonst lauten Partei.
Wilcke musste sich entscheiden, was von den hunderten abgedrehten Stunden in den Film kommt. Ausgesucht hat er, wie Kleinwächter bei einer Schulung für die neuen Landtagsabgeordneten in Brandenburg erläutert, welche Diskursstrategien die AfD anwendet (»Wenn nichts mehr hilft, dann mit Dreck werfen«). Er lässt diesen ehrgeizigen Mann, der jetzt beim Bundesparteitag nicht Parteivorsitzender geworden ist, genau erläutern, wie Rassismus funktioniert und wozu er nutze ist. Wir erfahren leider nur beiläufig, dass er früher bei der WASG war (2007 ist die Partei mit der PDS zur Linkspartei fusioniert). Eigentlich wollen wir wissen, warum er mit seiner Biografie jetzt bei der AfD ist. Aber das kann der Film nicht beantworten und versucht es auch nicht.
Wilcke filmt Frömming, wie er am Burschenschafts-Event »Hambacher Fest« teilnimmt und sich vor der Burg fotografiert. Dass dieser Frömming immerhin an einem Berliner Gymnasium Geschichtslehrer war und von den Schüler*innen vom Hof gejagt wurde und dass er Gründungs- und Vorstandsmitglied der Desiderius-Erasmus-Stiftung ist, wird nicht erzählt. Zu sehen ist ein gut aussehender, eloquenter, sprachgewandter Mann, der selbst mit den politischen Gegner*innen bei einem Bürgerdialog auf Augenhöhe diskutiert. Was soll an diesem Mann problematisch sein?
Hampel wird zu einem Außentermin auf einer griechischen Insel, auf die sich viele Geflüchtete retten konnten, begleitet. Er begutachtet, offenbar nicht mit den örtlichen Behörden abgesprochen, die Zeltstädte und befragt junge afghanische Geflüchtete. Klar wollen sie nach Deutschland. Er dreht einen kurzen dramatischen Film für seinen Social-Media-Kanal und braust wieder davon. Auf welcher Insel er da ist, wann das war (z. B. vor der Hausdurchsuchung bei ihm wegen Veruntreuung oder nachdem er in Niedersachsen all seiner Ämter enthoben wurde), ob es dafür Ärger gab, und warum der eine Typ, der auch schon alle anderen Abgeordneten pausenlos filmt, den SUV steuert, erfahren wir nicht. Da hätte Wilcke mal nachfragen können und rausgefunden, dass dieser Roman Pankratow heißt, von der Jungen Alternative Berlin/Brandenburg ist und mit seiner Produktionsfirma »Politpartner« genau solche Filmchen an besonderen Drehorten zu Festpreisen anbietet. Stattdessen zeigt die nächste Szene Hampel, wie er von der Reise berichtet. Der Spiegel erkennt in dieser Samos-Episode den Profijournalisten Hampel, der für die ARD schließlich Südasienkorrespondent war. Wer aber die Reise nach Samos geplant und tatsächlich orchestriert hat, wäre interessant. In Kombination mit eher beiläufigem Gequassel über die Etablierung eines neuen rechten Fernsehsenders im Stil von Fox News (USA), ServusTV (Österreich) oder Mediaset (Italien) wäre die Medienstrategie der Bundestagsfraktion eine tiefere Analyse wert. Doch das »mündige Publikum« (Zeit) muss sich solche Erkenntnisse zu Hause selbst erarbeiten.
Authentisch an dem Film ist, dass wieder einmal bewiesen wird, dass es die AfD gewöhnt ist, sich zu inszenieren. Auch der zweite Film »Eine deutsche Partei« von Simon Brückner ist in der Machart des »Direct Cinema« produziert, legt aber den Fokus auf die Berliner AfD und ihre Machtkämpfe. Wie Wilcke bleibt er an der Oberfläche. Beide tragen zum Mythos der AfD als einer nervigen, biederen, aber irgendwie normalen Partei bei. Am Ende muss das mündige Publikum sich fragen, ob die Regisseure den Falschbehauptungen und rhetorischen Mitteln und der Diskursverschiebung nach rechts selbst verfallen sind. Das Ausstrahlen rechter Propaganda hat nichts mit dokumentarischer Objektivität zu tun.