Keine Kampfkultur
4. September 2022
Versuche, eine neue rechte Partei zu schaffen, werden in Mainz empfindlich gestört
Die 2021 gegründete Kleinstpartei »Neue Stärke Partei« (NSP) sieht sich als neue Sammlungsbewegung für militante Aktivisten und will auch nichtorganisierte Neonazis ansprechen. Um den äußerst gewaltbereiten Teil der extrem rechten Szene zu integrieren, sollen martialische öffentlichkeitswirksame Bilder produziert werden, wie das Verbrennen von Regenbogenfahnen oder kommunistischen Symbolen. Nach innen sollen die Reihen gestärkt, nach außen Gegner*innen eingeschüchtert werden. Als Kaderorganisation führen wenige Mitglieder und Sympathisanten viele Aktivitäten durch. Damit reiht sich die NSP in die beständigen Versuche von Kameradschaften und der Partei »Die Rechte« ein, zum Beispiel im nahe gelegenen rheinhessischen Ingelheim Aufmärsche (u. a. zum Todestag von Rudolf Heß) durchzuführen. Die Zivilgesellschaft wird so gezwungen, immer wieder zu reagieren, was auch Ressourcen bindet.
Wie mit Neonazis umgehen?
Doch liegen in der Auseinandersetzung über die Frage, wie mit neonazistischen Umtrieben umzugehen ist, auch Chancen für die Zivilgesellschaft, sich zusammenzufinden und zu positionieren. Das ist in Mainz am 16. Juli gelungen. Als die Mobilisierung der NSP bekannt wurde, die unter dem Titel »Kampfkultur 2022« zu Aufmärschen in Gera, Mainz, Magdeburg und Düsseldorf aufrief, bildete sich das interventionistische Bündnis »Rechte Kampfkulturen entwaffnen«, das insbesondere Antifagruppen regional und überregional ansprach.
Die VVN-BdA Mainz und der DGB luden zu einem Koordinierungstreffen ein, aus dem bald ein weiteres Bündnis hervorging, das sich »Kein Naziaufmarsch in Mainz – Wir stellen uns quer!« nannte. Der Name bezieht sich auf ein Bündnis, das am 1. Mai 2009 den Aufmarsch der NPD verhindern konnte, indem es gut 4.000 Menschen auf die Beine brachte. Dem Aufruf schlossen sich mehr als 60 Organisationen an. Von Gewerkschaften (insbesondere der DGB) über Parteien und Jugendverbände bis zu religiösen Institutionen, Menschenrechtsorganisationen und diversen Gruppen aus der Zivilgesellschaft, wie Attac oder Fridays for Future (FFF). Ziel war, allen demokratisch, gewerkschaftlich, religiös, antirassistisch oder antifaschistisch gesinnten Menschen zu ermöglichen, Gesicht zu zeigen und auf die Straße zu gehen.
»Friedlich und entschlossen« war der Kernsatz des Aufrufs, mit dem versucht wurde, die Stadtpolitik und Stadtgesellschaft anzusprechen und einzubinden. So wurden viele Kundgebungen in der Stadt angemeldet und drei Demonstrationen zum Hauptbahnhof, wo die NSP sich versammeln wollte. Dort fand die Hauptkundgebung (DGB) statt, auf der Oberbürgermeister Michael Ebling, Bundestagsabgeordnete wie Tabea Rößner (Bündnis 90/Die Grünen) und Daniel Baldy (SPD) und viele andere für Vielfalt und Toleranz sprachen und aufriefen, den Nazis entgegenzutreten.
3.000 Menschen stellten sich in den Weg
Leider wurde durch die Sicherungsvorkehrungen im Vorfeld ein Bild erzeugt, das eher dazu geeignet war, abzuschrecken. Mainz wurde quasi in einen Ausnahmezustand versetzt. Der Bahnhof wurde fast komplett gesperrt, Busse weiträumig umgeleitet oder fielen aus, umliegende Geschäfte und Cafés blieben wegen der Auflagen zu, und das viel frequentierte Marktfrühstück am Dom wurde abgesagt. Das sorgte zwar für Öffentlichkeit, aber auch für Verunsicherung. Die breite Verankerung der Proteste und das insgesamt positive Presseecho schafften aber eine gute Stimmung in der Stadt, und so versammelten sich am 16. Juli mehr als 3.000 Menschen, um sich den Neonazis in den Weg zu stellen.
Als bekannt wurde, dass eine Alternativroute in einem anderen Stadtteil geplant ist, machte sich ein Großteil der Demonstrierenden auf den Weg und konnte verhindern, dass die Nazis, die u. a. T-Shirts mit der Aufschrift »Kommunisten töten« trugen (der Hashtag diente bereits zur Mobilisierung), weiter als 50 Meter kamen, bevor sie die Heimreise antreten mussten. Trotz der unübersichtlichen Lage durch die Ortsverlegung und eine unklare, teils irreleitende Kommunikation seitens der Ordnungsbehörde und der Polizei blieben Auseinandersetzungen zwischen Beamt*innen und Demonstrierenden Randphänomene. Insgesamt war der Tag ein Erfolg, und gemeinsam haben zwei Bündnisse und viele antifaschistisch gesinnte Menschen solidarisch dem braunen Treiben in Mainz Einhalt geboten. Dass das nicht reicht, wurde am 30. Juli deutlich, als die NSP erneut nach Mainz kommen wollte. Die gut 500 Protestierenden konnten allerdings entspannen, da der Zug im nahe gelegenen Ingelheim nicht weiterkonnte. Die dort versuchte Spontandemo verhinderte der ebenso spontane Gegenprotest vor Ort.
Am 13. August wiederum planten Kameradschaften und die Rechte den traditionellen Rudolf-Heß-Marsch in Ingelheim. Dem Widerstand dort -wichen sie diesmal in den Mainzer Vorort Gonsenheim aus, wo die Polizei sie begleitete. Versuche seitens »Mainz stellt sich quer«, im Vorfeld Informationen über diese schon vermutete Ausweichdemonstration zu erhalten, liefen ins Leere. Hier stellen sich noch Fragen, wie ein solches Ausspielen künftig verhindert werden kann.