Aufstachelungspotential?
8. November 2022
Der Straftatbestand »Volksverhetzung« wurde erweitert
Der Bundestag hat im Oktober den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch) um einen weiteren Absatz ergänzt. Nunmehr kann mit Geld- oder Freiheitsstrafe bestraft werden, »wer eine Handlung der in den § 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches genannten Art« in einer Weise öffentlich billigt, leugnet oder gröblich verharmlost – und zwar auf eine Weise, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören. Die betreffenden § 6 bis 12 im Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) umfassen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen Personen, gegen Eigentum und sonstige Rechte (z. B. Plünderungen), gegen humanitäre Operationen, unter Einsatz verbotener Methoden und Mittel. Explizit ausgenommen ist hier § 13 des VStGB, in dem es um einen Angriffskrieg geht. Den zu leugnen ist also weiterhin in Ordnung.
Das Sprechen über Straftaten war bisher nur im Wege des § 140 Nr. 2 StGB (Billigung verschiedener Straftaten) und § 130 Abs. 3 und 4 StGB (Leugnung und Verharmlosung des Holocaust) strafbar. Hinzu kommen nun öffentliche Äußerungen, die auch die oben genannten Verstöße gegen das Völkerrecht im Allgemeinen leugnen, verharmlosen und dabei zu Hass und Gewalt gegen die betroffene Gruppe aufstacheln. Weiterhin erlaubt sind solche Äußerungen hingegen, wenn sie nicht öffentlich getätigt werden oder wenn sie nicht dazu dienen »aufzustacheln«.
Im Vergleich zur Holocaustleugnung geht es nicht mehr um fünf Jahre Höchststrafe, sondern um drei. Ein weiterer Unterschied liegt in der Intention, den »öffentlichen Frieden« so sehr zu stören, dass man sich schon fast im Auffordern zu Straftaten (§ 111 StGB) wiederfindet. Dabei ist es unerheblich, ob das jeweilig gebilligte Völkerrechtsverbrechen geächtet, vor dem Internationalen Gerichtshof (IStGH) angeklagt oder verurteilt wurde. Es geht also nicht um die genaue Bewertung eines tatsächlich festgestellten Ereignisses in der Vergangenheit, sondern um das Aggressionspotential, das in der Zukunft gegen eine Gruppe erzeugt werden soll.
Laut Begründung des Rechtsausschusses wird mit der Ergänzung auf eine Rüge der EU-Kommission aus dem vergangenen Jahr reagiert: Deutschland habe einen Rahmenbeschluss des Europarats von 2008 »zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit« unzureichend umgesetzt. Historischer Hintergrund dieses Rahmenbeschlusses war wiederum der Genozid an den Bosniaken in Srebrenica. Also durchaus nachvollziehbar.
Der aktuelle zeitliche Hintergrund jedoch legt nahe, dass es der Bundesregierung ebenso darum ging, potenzielle Zustimmung für (bisher nicht gerichtlich festgestellte) Kriegsverbrechen durch russische Soldaten in der -Ukraine, im Keim zu ersticken. Deshalb musste dieser neue Absatz ohne öffentliche Debatte innerhalb von nur zwei Tagen durch den Bundestag geschleust werden.
Dieser Kontext wird verdeutlicht, durch die inhaltliche Kritik der Linken im Bundestag. Denn wie auch Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken, meint: »Inhaltlich führt die Verschärfung dazu, dass nun deutsche Staatsanwaltschaften beurteilen müssen, ob ein Kriegsverbrechen vorliegt.« Außerdem müssen sie auch entscheiden, was eine »gröbliche« Verharmlosung von Kriegsverbrechen ist und welche Äußerung Hass und Gewalt erzeugt und inwieweit der »öffentliche Frieden« bzw. eine bestimmbare Personengruppe dadurch gefährdet ist. Das ist viel Verantwortung bei Polizei und Staatsanwaltschaften. Was wir also erleben werden, ist eine Rechtsunsicherheit oder auch Willkür in der strafrechtlichen Beurteilung von Äußerungen zu aktuellen Kriegen und in der Interpretation vor den unterschiedlichen Gerichten und Instanzen. Was wir auch erleben werden, ist das, was in den sozialen Netzwerken als »Overblocking« bekannt ist. Weil Plattformen strafbare Inhalte sperren müssen, wurden intern strengere Richtlinien erarbeitet, als eigentlich in den Gesetzen stehen. Das wird nun auch die Diskussion zu Kriegen nachhaltig prägen.
Für uns als Antifaschist*innen ist aber etwas anderes interessanter. Der Paragraf 130 ist nun potentiell nutzbar, um die Verharmlosung angeblicher und gerichtlich nicht festgestellter Kriegsverbrechen an den Deutschen (z. B. die Bombardierung von Dresden 1945) zu ahnden. Außerdem wird durch die Ausweitung auf alle Kriegsverbrechen die Einzigartigkeit des Holocaust als besonderes Verbrechen in Frage gestellt.