Den Einspruch gewagt
7. Januar 2023
Luise Gutmann lebt die antifaschistische Tradition
Der zivile Ungehorsam hat seit jeher zur Aufhebung von Missständen beigetragen, wenn alle legalen Mittel ausgeschöpft waren und sich partout nichts ändern wollte. Große Vorbilder zivilcouragierter Menschen beendeten die Kolonialherrschaft in Indien, die Apartheid in Südafrika oder die »Rassentrennung« in den USA. Der friedliche Protest akzeptiert die Strafe, die das Rechtssystem dafür kennt. Deshalb ist Zivilcourage, den Einspruch wagen, stets mit einem Risiko verbunden.
Eine Lebenshaltung
Für Luise Gutmann ist es eine Lebenshaltung. Bei der Verleihung des »Preises für Zivilcourage 2022« der katholischen Friedensbewegung Pax Christi im Bistum Regensburg am 5. Oktober, nannte deren Vorsitzende Elisabeth Reinwald, was die Preisträgerin auszeichnet: »Sie hat sich jahrzehntelang dafür eingesetzt, dass kommende Generationen die Nazizeit nie vergessen!« Selbstverständlich nahm auch der bayerische Verfassungsschutz das laute »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg« der jungen Lehramtsstudentin Gutmann wahr. Auf ihre Bewerbung um eine Referendariatsstelle erhielt sie vom Kultusministerium in München eine Einladung zur »Anhörung«, wo ihr eröffnet wurde: »Es liegen Erkenntnisse über Sie vor …«, und dann wurde aufgezählt, was gegen die politisch aktive Tochter des einstigen Freisinger Oberbürgermeisters und Rechtsanwalts Max Lehner vorliegt: Flugblätter des MSB Spartakus, der VVN und Aufrufe zur Demo.
Entschlossen, sich nicht kleinkriegen zu lassen, hielt Luise dagegen. Da war das Erbe des Vaters, der 1932 eine Rechtsanwaltskanzlei in Freising eröffnet hatte und verfolgte Juden verteidigte. In der Reichspogromnacht 1938 zerrte der SA-Mob den jungen Rechtsanwalt auf die Straße, hängte ihm das Schild um den Hals: »Ich bin ein Judenknecht« und trieb ihn durch die Stadt. Dem aufrechten Gang des Vaters, den die Freisinger nach 1945 viele Male zu ihrem Oberbürgermeister wählten, folgte die 1947 geborene Tochter auf ihre Weise.
Die durch den Vietnamkrieg politisierte Luise fühlte sich zuständig, als das Thema aus der Öffentlichkeit verschwand und das Land schmerzlich die Folgen des Krieges drückten. Konsequent setzte sie fort, wo andere bereits den Rückzug angetreten hatten: 1976 trat sie der in Düsseldorf gegründeten vietnamesischen Freundschaftsgesellschaft bei, und gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Willi Ostler besuchte sie mehrfach das von den Kriegsfolgen ausgezehrte Land. Es waren viele kleine Projekte wie die Gründung von Näh- und anderen Werkstätten, die in der verarmten Provinz Ben Tre im Mekongdelta Hoffnung weckten. Eine auf Luise ausgestellte Urkunde über ihre Ernennung zur Ehrenbürgerin besiegelte die Freundschaft.
Nach 1989, nach der Öffnung der Grenzen zum benachbarten Tschechien, als die zwischenstaatlichen deutsch-tschechischen Konflikte um das Erbe des Zweiten Weltkriegs kulminierten, setzte Luise mit ihrer Verbündeten Renate Henneke, der Leiterin der Deutsch-Tschechischen Nachrichten, den kulturpolitischen Kontrapunkt. Sie organisierten Begegnungen mit einstigen tschechischen Zwangsarbeitern und Widerstandskämpfern und erinnerten an die in Deutschland kaum bekannten Todesmärsche von KZ-Gefangenen in den letzten Kriegsmonaten entlang der Grenze. Es war ein antifaschistisches Erinnern, das im krassen Gegensatz zum organisierten Heimatgetöse der Sudetendeutschen stand, die Ansprüche stellten: auf Entschädigung, Heimatrecht und überhaupt auf alles, was der Krieg ihnen genommen hatte.
Engagement für tschechische Zwangsarbeiter
»Das Engagement für die einstigen tschechischen Zwangsarbeiter und Widerstandskämpfer hat sich in die Annalen der deutsch-tschechischen Beziehungen eingeschrieben«, würdigte Eva Hahn, deutsch-tschechische Historikerin, in ihrer Laudatio die Courage der Preisträgerin Gutmann.
Was im damaligen Tschechien auf Beifall und Anerkennung stieß, mobilisierte in Bayern die Verfassungsschützer. Jahr um Jahr schrieben sie in inhaltsleeren, antikommunistischen Parolen auf, was der VVN anzulasten ist. Eva Hahn las bayerische Verfassungsschutzberichte und zählte nach: »In einem sechseinhalbzeiligen Zitat kommen die Begriffe linksextremistisch, kommunistisch, marxistisch vor. Jene drei Begriffe ließen sich durch das Wort ›teuflisch‹ ersetzen, was nur der Erzeugung von Angst, aber nicht der Orientierung in der realen Welt dienen kann.« In einem bayerischen Verfassungsschutzbericht wurde vor einigen Jahren auch Luise Gutmann erwähnt. Sie zog dagegen vor Gericht. In der Verhandlung stellte sich heraus, dass »falsche Behauptungen und Vermutungen«, die Basis der Beschuldigungen waren.
Nur wenige Tage nach der Preisverleihung durch Pax Christi wurde Luise Gutmann die überfällige öffentliche Anerkennung ihrer Gedenk- und Erinnerungspolitik als VVN-Vorsitzende der Kreisvereinigung Oberpfalz und Regensburg durch die Stadt Regensburg zuteil. In einer Feier zum historischen Stadtfreiheitstag im Alten Rathaus zeichnete die sozialdemokratische Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer die Antifaschistin mit der Verleihung des Stadtschlüssels aus. Dabei würdigte sie die Internationalität der Begegnungen mit Zeitzeugen und ehemaligen NS-Zwangsarbeitern aus dem In- und Ausland. Wie nachhaltig sich die städtische Erinnerungspolitik mit SPD-Oberbürgermeistern veränderte, demonstriert Regensburg seit einigen Jahren am 23. April, wenn Schulter an Schulter die VVN-Vorsitzende Gutmann gemeinsam mit dem Bischof von Regensburg, der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, der Oberbürgermeisterin und dem lokalen DGB-Vorsitzenden den Gedenkweg für die Naziopfer anführt.