Fakten reichen nicht

13. September 2023

Podcastreihe klärt über Verschwörungsmythen auf. Gespräch mit Juliet Schnabel

antifa: Warum produziert »Qabale« Radiosendungen für die politische Bildungsarbeit?

Juliet Schnabel: Es ist nicht so, dass wir nicht auch anderes probiert hätten: Das Spezial zu QAnon in der antifa-November-/Dezemberausgabe letztes Jahr, Workshops hier in Berlin – aber immer muss irgendwas herausgekürzt und vereinfacht werden. Podcasts, also diese kleinen Radiosendungen, die sich jede, wann sie Lust hat, über das Internet anhören kann, sind mittlerweile ein wichtiges Mittel in der Wissensvermittlung geworden. Nicht alles auf einmal, sondern in kleinen Dosen sind die Inhalte konsumierbar und geben uns die Chance, ein Thema gründlich und auch abgrenzbar zum Rest darzustellen.

Mit den Freien Radios haben wir einen Akteur an unserer Seite, der ohnehin über ein breites bundesweites Publikum verfügt. Laut aktuellen Zahlen haben die bisher veröffentlichten Folgen bereits jeweils rund 700 Zugriffe. So eine Verbreitung ist mit klassischen Bildungsangeboten nur sehr schwer zu schaffen. Gerade weil der Aufwand überschaubar ist, sollten das Interessierte mal ausprobieren, die ebenfalls eine Vielzahl an Inhalten unter die Leute bringen wollen. Aufnahmetechnik für Bürger*innenradio gibt es fast überall. Es braucht ein Skript, am besten ein Gespräch, nicht mehr als vier DIN-A4-Seiten Text für rund 20 Minuten Sendung und einen guten Schnitt. Die Verbreitung sollte dann über die üblichen Podcastkanäle erfolgen, damit die Beiträge auffindbar sind. Das Format hat auch Schwächen. Die Unterteilung in einzelne Bildungshappen birgt natürlich die Gefahr, dass irgendwas nicht richtig mit anderen Inhalten verbunden oder missverstanden wird, wenn man die anderen Folgen nicht gehört hat. Aufgrund des einseitigen Kanals können keine Rückfragen gestellt werden. Aber wir stellen jede Menge Quellen zur Verfügung. Ton allein ist manchmal auch nicht ideal. Für komplexe Zusammenhänge sind Grafiken praktischer. Aber dann sind wir schnell bei Video, Youtube, Live-Chats und damit ganz anderen Anforderungen, was Technik und schauspielerische Leistung angeht.

antifa: Kommen wir zu den Inhalten eurer Sendungen. Wer ist anfällig für Verschwörungsglauben, und warum hat das gerade so einen Aufwind?

Der Podcast ist hörbar unterwww.freie-radios.net/serie/qabale,
jeden Freitag gibt es eine neue Folge.

Der Podcast ist hörbar unter
www.freie-radios.net/serie/qabale,
jeden Freitag gibt es eine neue Folge.

Juliet: Erst mal sind alle anfällig. Wir sind ja auch umgeben von realen Komplotten, von Interessengruppen, die sich mehr oder weniger offen durchsetzen. Natürlich wird reale Macht oft verschleiert, und viele der kleinen und großen Ungerechtigkeiten kommen niemals an die Öffentlichkeit. Das alles untergräbt selbstverständlich das Vertrauen in die Funktionalität von demokratischen Strukturen. Doch scheint mir hier das Vermögen, diese Prozesse ernsthaft zu analysieren und zu differenzieren, verloren gegangen zu sein. Letztlich sind die einfachen Welterklärungen ja auch nur ohnmächtige Reaktionen auf aktuelle Krisen. Dahinter stehen emotionale und spirituelle Bedürfnisse. Und bei vielen auch andere, eher persönlichere Krisen. Aber vorsichtig mit dem Verständnis: Nur noch zu fantasieren und die dümmsten antisemitischen Verschwörungen hinter allem, was schiefgeht, zu vermuten, ist keine progressive Herrschaftskritik, sondern entweder naiv oder politisch motivierte Lenkung. Zudem ist es ein florierendes Geschäft.

In bestimmten Kreisen fallen solche Verschwörungsnarrative eher auf fruchtbaren Boden. Beispielsweise in den USA eher bei Republikanern als bei Demokraten. Zu bedenken ist auch: Wir haben es immer mit Radikalisierungsgeschichten zu tun. Niemand glaubt von heute auf morgen daran, dass Bill Gates Kinderblut trinkt. Das fängt bei esoterischen und kultischen Welterklärungen an, und dann klicken sich Verschwörungsgläubige immer tiefer hinein. Was sich auch beobachten lässt, ist die Radikalisierung durch Verdrängung. Manche Plattformen verbannen bestimmte Inhalte, oder andere werden gleich ganz geschlossen. Die Ausweichplattformen und Kanäle, zu denen dann alle strömen, sind weitaus radikaler und noch weniger offen für Widerspruch.

antifa: Was können wir tun, um diesen Narrativen zu begegnen?

Juliet: Wir denken, dass diese Radikalisierungsspiralen, in die mensch gerät, oft nur durch die Korrektur von außen durchbrochen werden können. Deshalb setzen wir mit unserem Podcast auf den Faktencheck, um diejenigen zu stärken, die den Widerspruch in der Öffentlichkeit und in ihrem Umfeld wagen. Gleichzeitig geht es uns auch um die Zweifler*innen, um sie vor weiterem Abdrehen zu bewahren. Denen kann beispielsweise eine Mediendiät helfen. Allein auf Gegenfakten zu setzen, funktioniert leider nicht – weil wir alle keine Expert*innen für alle Fragen des Universums sind. Deshalb müssen wir eher emotional ansprechbar bleiben und Verschwörungsgläubigen einen Ausweg bieten. Im großen Maßstab ist es entscheidender, Orientierung zu bieten. Gegen Corona, Klimakatastrophe und Krieg hilft es einfach nicht, imaginären Bösewichten hinterherzurennen. Die Interpretation der aktuellen Krisen bzw. die Verständigung über Ursachen, Auswirkungen und Lösungswege ist sehr dynamisch, und es gibt kaum Institutionen, die das ganzheitlich für alle und mit allen leisten. Auch die VVN-BdA kann da mehr machen.

Juliet Schnabel ist Mitglied in der Berliner VVN-BdA und in der Erwachsenenbildung tätig.

Das Gespräch führte Nils Becker