Über Berge in die Freiheit

geschrieben von Peps Gutsche

14. September 2023

Bildungsreise zum jüdischen Exodus 1947 in Österreich

Die Veranstaltung startete mit dem Krimmler Dialogforum zum Thema »Fluchtraum Gebirge«. Die Direktorin des Jüdischen Museums Wien, Barbara Staudinger, stellte in ihrem Beitrag heraus, dass die beste Prävention von Antisemitismus sei, dass jüdische Geschichte Menschen nicht egal ist. Die Autorin Julya Rabinowich las aus ihren beiden Romanen »Dazwischen: Ich« und »Dazwischen: Wir« vor, die das Leben des jungen Geflüchteten Madina verfolgen. In einer gemeinsamen Gesprächsrunde betonte Jakob Gruber vom Verein »Alpine Peace Crossing« (APC), dass es dem Verein darum gehe, an das Entkommen der Juden*Jüdinnen zu erinnern und sich gleichzeitig zu aktuellen Themen wie Menschen auf der Flucht aus antifaschistischer Perspektive zu positionieren.

Am Morgen des 2. Juli ging es zunächst mit Taxen zum Krimmler Tauernhaus auf 1.622 Meter Höhe. Dort starteten die rund 200 Teilnehmer*innen jeden Alters, darunter Nachkommen der Geflüchteten von 1947, die Gedenkwanderung. Der Weg führte entlang des Windbachtals hinauf ins hochalpine Gelände des Krimmler Tauernpasses auf 2.634 Meter Höhe. Hier begann der Abstieg in das italienische Ahrntal und den Ort Kasern. Entlang des Wegs erinnern heute pyramidenförmige Denkmäler an die Flucht 1947. Von Kasern aus ging es 1947 für die jüdischen Flüchtlinge weiter nach Genua und von dort aus per Schiff Richtung Palästina. Viele von ihnen mussten allerdings noch mehrere Monate in Zypern ausharren, bevor eine Weiterreise möglich war.

Am Tag darauf wurden die wandermüden Bildungsreisenden von Brigitte und Werner vom Wiener Verein »Rote Spuren« besucht. Die beiden Gewerkschafter*innen gaben Einblicke in die Geschichte der SPÖ von 1933 bis 1945 und stellten die Geschichten von Käthe Leichter und Rosa Jochmann vor, die beide im Untergrund bei den Revolutionären Sozialisten aktiv waren. Käthe Leichter wurde nach Ravensbrück deportiert und im März 1942 in der NS-Tötungsanstalt Bernburg ermordet. Rosa Jochmann überlebte die Nazidiktatur und saß als SPÖ-Politikerin von 1945 bis 1967 im österreichischen Nationalrat.

Anfang Juli 2023 führte eine Bildungsreise der DGB-Jugend Berlin-Brandenburg und des VVN-BdA Märkisch-Oderland in die österreichische Gemeinde Krimml. Anlass war die jährliche Gedenkwanderung des Vereins »Alpine Peace Crossing« (APC), die seit 2007 an die Flucht tausender Juden*Jüdinnen aus österreichischen Displaced Persons (DP) Camps nach Palästina im Sommer 1947 erinnert. Foto: Samuel Signer

Anfang Juli 2023 führte eine Bildungsreise der DGB-Jugend Berlin-Brandenburg und des VVN-BdA Märkisch-Oderland in die österreichische Gemeinde Krimml. Anlass war die jährliche Gedenkwanderung des Vereins »Alpine Peace Crossing« (APC), die seit 2007 an die Flucht tausender Juden*Jüdinnen aus österreichischen Displaced Persons (DP) Camps nach Palästina im Sommer 1947 erinnert. Foto: Samuel Signer

Am Nachmittag gaben Jakob Gruber und Matthias Schreckeis eine Einführung in die Arbeit des APC und die Flucht über die Krimmler Tauern 1947. Organisiert wurde diese durch die Organisation »Bricha«, die aus der Jewish Brigade der Britischen Armee hervorgegangen war und im DP-Camp Saalfelden Juden*Jüdinnen auf die Flucht vorbereitete. Schätzungen zufolge gingen mehrere Tausend Menschen in den schneefreien Monaten 1947 über die Krimmler Tauern nach Italien. Eine wichtige Person war dabei Bernard Dov Protter, der selbst als 16jähriger aus Wien flüchten musste und in unterschiedlichen DP-Camps Menschen half, nach Palästina zu gelangen.

Bei einer Stadttour in Saalfelden, wo sich auf dem heutigen Gelände der Anton-Wallner-Kaserne das jüdische DP-Camp Givat Avoda befand, erfuhren wir mehr über jüdisches Leben in dem Ort. Den zwei dort lebenden Familien Kant und Süßmann ist die Ausreise aus Österreich gelungen, allerdings erhielt nur die Familie Süßmann ihr Unternehmen, welches »arisiert« worden war, zurück. Nichts erinnert mehr an diese Familien in Saalfelden.

Der Historiker Rudi Leo gab Einblicke in die Pinzgauer Lokalgeschichte und zeigte anhand einzelner Biografien, unter anderem von Josef Scherleitner, dem Kommunisten Ernst Pickes und dem Priester Andreas Rieser, den Widerstand gegen das NS-Regime. Eine wichtige Perspektive war dabei die von Deserteuren, die sich den Einberufungsbefehlen der Wehrmacht widersetzten und stattdessen bis Kriegsende in den Bergen ausharrten.

Besondere Erwähnung finden hier die tragischen Ereignisse in Goldegg-Weng. In den Bergen nah der deutschen Grenze versteckte sich eine Gruppe von fünf bis sechs Personen rund um Karl Rupitsch, um der Einberufung zur Wehrmacht zu entgehen. Unterstützt wurden sie durch die Familien im Tal. Am 2. Juli 1944 durchkämmten mehr als 1.000 SS- und Gestapo-Männer die Höfe und umliegenden Berge auf der Suche nach den Deserteuren. Dabei erschossen sie zwei unbeteiligte Bauernsöhne, Simon und Alois Hochleitner, verhafteten dutzende Menschen und verschleppten viele von ihnen in Konzentrationslager, um Druck auf die Deserteure auszuüben. Seit 2014 erinnert ein Gedenkstein an 14 Personen, die in Zusammenhang mit der Razzia verhaftet und ermordet wurden.

Bei einem abendlichen Gespräch diskutierten wir mit Jakob, Matthias, Brigitte und Werner über antifaschistische Perspektiven in Österreich und der BRD. Gemeinsam ist beiden Ländern, dass es mit der FPÖ sowie der AfD extrem rechte Parteien in den Parlamenten gibt, die bei Teilen der Bevölkerung auf hohe Zustimmung treffen. Hervorgehoben wurde hier die Rolle antifaschistischer Positionierungen und einer eigenen demokratischen Agenda und Politik durch linke Bewegungen und Parteien. So stellt aktuell die Kommunistische Partei in Österreich eine Bürgermeisterin in Graz und macht mit einer dezidiert linken Mietenpolitik auch in Wien auf sich aufmerksam. Nach sechs intensiven Tagen ging es für die Gruppe Bildungsurlauber*innen aus Berlin und Brandenburg zurück, vernetzt und erfüllt mit neuem Wissen.

Bildungsurlaub ist eine bezahlte Freistellungsmöglichkeit für Arbeitnehmer*innen und umfasst bis zu zehn Tage in zwei Kalenderjahren. Geknüpft ist dieser an einen formalen Antrag beim Arbeitgeber sowie eine als Bildungsurlaub zugelassene Maßnahme. Die genauen Bestimmungen sind in den einzelnen Bundesländern geregelt. In Bayern und Sachsen gibt es keine Bildungsurlaubsgesetze.

Mehr Informationen zu Angeboten finden sich aufbildungsurlaub.de oder auch beim VVN-BdA Bielefeld

bielefeld.vvn-bda.de/mitmachen/