Feministischer Antifaschismus
5. November 2023
Alltägliche Gegenöffentlichkeit
Politische Theorie und Praxis werden durch das geformt, was öffentlich wird und was privat bleibt. Ein Verständnis, das über liberale und konservative Standpunkte hinausgeht, bedarf in dieser Hinsicht einer erweiterten Auffassung. Reproduktive Rechte stehen im Zentrum demokratischer Politik, denn Selbstbestimmung ist die Grundlage von Teilhabe. Der Versuch, autoritäre, völkische und patriarchale Gesellschaftsmodelle umzusetzen, ist international beobachtbar und steht auf der Agenda eines breiten rassistischen, frauen*- und queerfeindlichen Bündnisses, das von religiösen Fundamentalist*innen über extrem rechte Organisationen bis hin zu Spitzenpolitiker*innen aktueller Regierungen reicht. Der Angriff auf den Sozialstaat im Neoliberalismus ist nicht zu trennen von der erneuten Zuweisung der Reproduktionsarbeit in die Familie.
Höchste Zeit, die jahrzehntelange Analysearbeit und Praxis von Feminist*innen, Queers sowie Antirassist*innen und Aktivist*innen of Color in breite antifaschistische Praxis zu überführen. 2021 veröffentlichte die Philosophin und Aktivistin Ewa Majewska im englischsprachigen Verso-Verlag das Buch »Feministischer Antifaschismus: Gegenöffentlichkeiten des Alltäglichen«; ein fundiertes theoretisches Manifest, in dem sie argumentiert, dass Feminismus der einzige Weg hin zu einer globalen antifaschistischen Zukunft ist.
Sie plädiert für eine Fokussierung der politischen Vorstellungskraft durch eine feministische Linse und umreißt antifaschistisches Leben als permanente Kritik an Macht, rassistischen und antisemitischen Ausgrenzungen, an Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit und Autoritarismus. Mit dem Konzept der »weak resistance« (schwacher Widerstand) legt sie einen Gegenentwurf zu heroischen Formen von Subjektivität vor, die heute durch ein Zusammenspiel von neoliberalem Kapitalismus und faschistischen Tendenzen produziert werden. Ein Widerstand, der in der Lage ist, Wissensproduktion und Normen sowie die sich daraus ergebenden Verstrickungen infrage zu stellen, alltägliche Formen des Widerstands als alternative politische Vorstellungswelten würdigt und eine konsequente Beteiligung von Gegenöffentlichkeiten fordert. Das bedarf der (Wieder-)Aneignung von Öffentlichkeit durch diejenigen, die von ihr zur Minderheit gemacht oder ausgeschlossen werden. Das Risiko, das damit einhergeht, ist eine Leerstelle in liberaler sowie linker Theorie und steht in direktem Zusammenhang mit den Privilegien ihrer Verfasser*innen. Widerständige Handlungen werden zudem oft illegalisiert und finden nur beschränkt Öffentlichkeit. Umso schwieriger ist es, diese Geschichten zu erzählen oder Verständnis für betroffene Kontexte herzustellen.
In historisch-materialistischer Manier konzentriert sich Majewska auf zwei Ereignisse der polnischen Geschichte: die entscheidende Präsenz von Frauen in den Anfängen der Solidarność (1980er) und den »Czarny Protest« (Schwarzer Protest, seit 2016) gegen das Abtreibungsverbot, wobei sie die heutige politische Situation Polens untrennbar verknüpft sieht mit der Erniedrigung und Abwertung der Arbeiter*innen post ’89. Sie beschreibt den aktuellen Frauen*-Streik als feministische Gegenöffentlichkeit, die sich sowohl gegen die zu diesem Zeitpunkt regierende rechtskonservative Partei (PiS) als auch gegen die liberale Opposition richtet. Eine Gegenöffentlichkeit, die eine große Bandbreite an Themen setzt und die Bedeutung von Solidarität, Durchhaltevermögen und Scheitern nicht unterschätzt.
Die Begrifflichkeit des Streiks verändert die Prioritäten von feministischen Protesten. Verschiebt die Fragestellung auf die Ökonomie von Abtreibungsverboten. Als Klassenfrage zwischen jenen, die sich Selbstbestimmung leisten können, und denen, die nicht. Liberaler Feminismus disqualifiziert sich in diesem Kontext, da der einzige Standpunkt, den er einzunehmen vermag, der einer individuellen freien Wahl ist. Im internationalen Frauen*-Streik, der sich innerhalb von zwei Jahren in 70 Ländern manifestierte (in digitalen Räumen und auf der Straße), sind die verschiedenen feministischen Strömungen zu einer transversalen, also über Unterschiede hinweg einen gemeinsamen Bezugspunkt für politische Strategien herstellenden Bewegung herangewachsen. Die Praxis der gemeinschaftlichen Dynamiken ist ein Ausloten widerständiger Muster und durch einen großen Spielraum für stilistischen Richtungen und Bezugnahmen gekennzeichnet. Kleine Gruppen an unterschiedlichen Orten sind im internationalen Austausch zu feministischen Netzwerken herangewachsen. Eine dickköpfige Widerständigkeit von nonkonformen Alltäglichkeiten. Die gesammelten Erlebnisse werden von den Teilnehmer*innen kontinuierlich evaluiert, historisch kontextualisiert und bilden die Grundlage für weitere Wellen, die sich gegen die Ausgrenzungsmaschinerie stellen, an deren Opfern das Volk erkennbar ist, das gegen die Bevölkerung ins Feld geführt werden soll. Anstatt nach einer irgendwie gearteten homogenen Masse zu streben, in der heroische Akte den größten Applaus ernten, ist die feministische Perspektive eine Einladung, anhand spezifischer Handlungen und Wörter für dieselbe Sache unter widersprüchlichen Bedingungen widerständig zu sein.
Weitere Leseempfehlungen:
Elizabeth Cullen Dunn: Privatizing Poland – Baby Food, Big Business, and the Remaking of Labor, Cornell University Press, 2004, 224 Seiten, 22,25 Euro
Für die Recherche arbeitete Dunn in den Jahren post 1989 in der Gerber-Alima-Lebensmittelfabrik im Süden Polens und dokumentiert die Transformation einer kommunistischen staatlichen Fabrik in ein kapitalistisches Unternehmen.
AG Feministischer Streik Kassel: Feministisch streiken – Dort kämpfen, wo das Leben ist. Unrast, 2023, 240 Seiten, 16,80 Euro