Handlungsspielräume

geschrieben von Ulrich Schneider

5. November 2023

Ausstellung über »Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus«

In der historischen Auseinandersetzung mit der NS-Herrschaft ist der Terrorapparat im weitesten Sinne gut aufgearbeitet. Auch zu den Strukturen der Gestapo liegen mittlerweile substanzielle Untersuchungen vor. Dabei gibt es keinen Zweifel, dass alle Teile der Sicherheitsdienste, von der Polizei auf den unterschiedlichen Ebenen bis zu den Geheimdiensten, den NS-Terroreinheiten der SA und SS sowie den Polizeibataillonen der Ordnungspolizei, in Verbindung mit der Justiz zur Ausschaltung jeglichen Widerstands und zur Durchsetzung der faschistischen Zielvorstellung einer rassistisch normierten Volksgemeinschaft ihren jeweiligen Beitrag geleistet haben.

Terrorapparat und widerständiges Verhalten

Wenn nun eine Ausstellung über »Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus« vom »Studienkreis deutscher Widerstand 1933–1945« vorgestellt wird, die bei einem Gespräch mit dem ehemaligen Frankfurter Polizeipräsidenten Gerhard Bereswill angeregt worden ist, dann muss sie etwas präsentieren, was in dieser Form noch nicht behandelt wurde. Und tatsächlich beschreibt sie unter dem Titel »Handlungsspielräume« anhand von zehn Biografien nicht allein den Terrorapparat, sondern unterschiedliche Formen widerständigen Verhaltens selbst in den Reihen der Polizei. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass die Polizei in der Weimarer Republik – trotz vielfältiger gewaltsamer Übergriffe gegen linke Kräfte in der Arbeiterbewegung – oftmals auch sozialdemokratisch beeinflusst war. Und so zeichnet die vorliegende Ausstellung an mehreren Biografien nach, wie diese politische Haltung in Einzelfällen zu widerständiger Haltung führte.

Die Polizei vollzieht damit endlich etwas nach, was es in der Ausbildung von höheren Finanz- und Verwaltungsbeamten schon seit vielen Jahren gibt, nämlich eine Aufarbeitung, die die verhängnisvolle Rolle von Verwaltung und Finanzbehörden bei der Ausplünderung jüdischer Menschen und bei der Umsetzung der Vernichtungspolitik qua Verwaltungshandeln aufzeigt. Dies hat -mittlerweile -Eingang in die Ausbildungscurricula gefunden.

Was an der Ausstellung zu den Frankfurter Polizeibeamten gelungen ist, sie vermeidet jegliche Schwarz-Weiß-Malerei und überhöht in keiner Weise das nicht-angepasste Verhalten von Einzelnen, sondern zeigt auf, dass es in der Entscheidung des jeweiligen Beamten lag, in welchem Umfang er den faschistischen Vorgaben, die in der Ausstellung hinreichend dokumentiert werden, folgte.

Bekannt sind durch eine Veröffentlichung von Petra Bonavita Christian Fries und Gotthold Fengler, die 1937 eine kleine Widerstandsgruppe aufbauten, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten am Rettungswiderstand beteiligten, indem Informationen über geplante Razzien und Deportationen weitergegeben wurden. Fries hatte darüber hinaus als »Stützpunktleiter« Kontakte zum Widerstand um Wilhelm Leuschner. Interessanterweise ist diese Gruppe nie enttarnt worden, was sicherlich auch damit zu tun hatte, dass die Beteiligten weiterhin ihren Polizeidienst zur Zufriedenheit der Vorgesetzten ausübten, was in der Ausstellung an der Rolle von Christian Fries in Thionville (Frankreich) gezeigt wird.

Dass es in einzelnen Texten leider auch missverständliche Aussagen bzw. Fehler gibt, zeigt die Bio-grafie von Polizeioberstleutnant Klaus Hornig, der aufgrund seiner Weigerung, an der Erschießung von Kriegsgefangenen teilzunehmen, wegen »Wehrkraftzersetzung« in das KZ Buchenwald verbracht wurde. Dort heißt es, »1945 Entlassung aus dem KZ Buchenwald bei Befreiung durch die Rote Armee«. Das kann nur richtig sein, wenn er auf einem Todesmarsch von der Roten Armee befreit wurde, was man hätte präzisieren müssen.

Vorwurf Geschichtsrevisionismus

Es konnte nicht ausbleiben, dass ein solches Projekt kritische Nachfragen – auch in den Reihen des Studienkreises und seiner Mitglieder – provozierte. Die Gruppe »AG Frankfurter Geschichte(n)« formulierte neben der aus ihrer Sicht vollkommen unzureichenden Transparenz innerhalb des Studienkreises drei entscheidende Kritikpunkte: Erstens wurde moniert, dass durch die »Ambivalenz« des Verhaltens der Beamten einer geschichtsrevisionistischen Perspektive auf den faschistischen Terrorapparat Vorschub geleistet werde. Zweitens wurde vermutet, dass das Interesse der Frankfurter Polizeiführung weniger in einer ernsthaften historischen Auseinandersetzung liege, sondern in einer moralischen Rehabilitierung angesichts der rechten Chat-Gruppen und des NSU-2.0-Skandals in der Frankfurter Polizei. Drittens wurde moniert, dass die Finanzierung dieser Ausstellung über einen Etat des hessischen Innenministeriums, der mit dem Landesamt für Verfassungsschutz verbunden ist, erfolgte, sodass die Kritiker hier eine Einflussnahme befürchteten. Zu diesen Vorwürfen hat der Vorstand des Studienkreises eine Stellungnahme verfasst, die man sich zuschicken lassen kann (studienkreis@widerstand-1933-1945.de). Hilfreich für die Debatte ist der 70-seitige Begleitband, der unter anderem die Ausstellungstafeln selbst dokumentiert.

Zielrichtung der Ausstellung soll es sein, so der »Studienkreis deutscher Widerstand 1933–1945« in einer Erklärung zu diesem Projekt, »dass Polizeibeamt:innen befähigt werden, sich mit der Rolle der Polizei im NS zu beschäftigen und dabei Einblicke in das Verhalten von Polizeibeamt:innen im NS-System zu erhalten«.

Weitere Informationen, auch zu den anderen Ausstellungen »Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus«, »Es lebe die Freiheit! Junge Menschen gegen den Nationalsozialismus« sowie »Kinder im KZ Theresienstadt, Zeichnungen, Gedichte, Texte« und die Ausleihbedingungen erhält man über Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945 e.V., Rossertstr. 9, 60323 Frankfurt am Main.