Kurioses aus Archiven
2. März 2024
Vom Umgang mit der VVN am Beispiel eines Falls in Bielefeld
Auch in öffentlichen Archiven, in denen Dokumente der Verwaltung abgelegt sind, findet man anschauliche Quellen zum Umgang mit der VVN, mit den Frauen und Männern aus Widerstand und Verfolgung. Im Zuge einer Recherche, stieß ich auf die Homepage des Stadtarchivs und der Landesgeschichtlichen Bibliothek Bielefeld, auf der Dagmar Giesecke schon vor über zehn Jahren einen Beitrag (siehe Spalte) veröffent-licht hatte. Darin sind nicht nur die historischen Abläufe selbst, sondern auch Quellen abgedruckt, die den politischen Umgang mit Gedenken und der VVN in den Westzonen und später in der BRD deutlich machen.
Dagmar Giesecke beschreibt, dass schon im September 1946 auf dem Sennefriedhof auf Initiative der VVN und des FDGB eine Gedenkfeier für 13 politisch Verfolgte, die in Dortmund im September 1944 hingerichtet worden waren, durchgeführt wurde. Es waren Arbeiter aus Bielefelder Betrieben, die wegen Rundfunkverbrechen (das Hören von »Feindsendern«, d. R.), Hochverrat und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt worden waren. Die Überführung ihrer sterblichen Überreste erfolgte Ende 1945. Zum zweiten Todestag 1946 fand in Bielefeld eine Gedenkveranstaltung statt. Am Tag zuvor hatten VVN und FDGB auf dem Friedhof Kränze niedergelegt. Damals forderte der FDGB von der Stadt eine würdige Gestaltung der Gräber und Übernahme der Kosten der Grabpflege, ein Antrag, der jedoch in den Schubladen des Gartenamtes »verschwand«. Die Antifaschisten ließen nicht locker. Der damalige Vertreter der VVN, Vahle, intervenierte bei Bielefelds Oberbürgermeister Artur Ladebeck, der wiederum sich von seiner Gartenverwaltung bestätigen ließ: »Die Gräber der Opfer des Faschismus wurden (…) auf Anweisung von Herrn Gartendirektor Meyer in gleicher Weise gepflegt und unterhalten, wie die der Soldaten und Bombenopfer. Die Friedhofsverwaltung war bisher stets bestrebt, den Wünschen der V.V.N und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes zu entsprechen.«
Und tatsächlich konnte man im September 1948 in der Lokalzeitung lesen: »Mehrere hundert Teilnehmer fanden sich am Sonntagnachmittag auf dem Sennefriedhof ein, um an einer Gedächtnisstunde für die Opfer des Nationalsozialismus teilzunehmen, zu der VVN, Parteien, Kirchen, Gewerkschaft und Jugend eingeladen hatten. Nach der Niederlegung von Kränzen an den schlichten Grabhügeln der dreizehn Bielefelder Opfer, wurde das Mahnmal enthüllt. ›Es soll die Erde, in der Ihr ruht, ganz eine freie werden‹, – so lautet die Inschrift des wirkungsvollen Gedenksteines«.
Hier könnte die »Erfolgsgeschichte« zur Erinnerung enden, wenn nicht der Kalte Krieg das Gedenken massiv beeinflusst hätte. So wurde im Jahre 1950 seitens des DGB versucht, die Feier vom zweiten Sonntag im September auf den kirchlichen Totensonntag zu verlegen, was jedoch Probleme bereitete, da bereits andere Gruppen den Friedhof an diesem Termin reserviert hatten. Daraufhin übernahm die VVN das Gedenken in die eigene Verantwortung und meldete ordnungsgemäß bei der Friedhofsverwaltung ein Gedenken am 15. September 1951 an.
Das Verbot des »gesamtdeutschen Rates der VVN« vom 26. Juli 1951 wurde von der Bielefelder Verwaltung dahingehend interpretiert, dass damit sämtliche Aktivitäten der VVN von den zuständigen Behörden zu untersagen seien. Zwei Tage vor dem 15. September wurde die Friedhofsverwaltung von der Polizeiinspektion davon in Kenntnis gesetzt und zur Beobachtung aufgefordert. Gleichzeitig hieß es: »Die Polizei müsse, falls der Besuch der Gräber zu einer Demonstration sich gestalten solle, gegen die Veranstalter einschreiten.« Es wurde angeordnet, dass seitens der Stadt keinerlei Blumenschmuck oder sonstige Einrichtungen für diese Veranstaltung zur Verfügung gestellt werden dürften. Zudem wurde die Friedhofsverwaltung angewiesen, eine Unterbringung der Polizeikräfte sicherzustellen.
In einem Bericht vom 17. September 1951 betonte der Friedhofsaufseher Schwarze: »Mit der Gedenkfeier und den Teilnehmern hatte ich nichts zu tun, da die Polizei eingesetzt war. Reibereien oder Auseinandersetzungen irgendwelcher Art hatte ich nicht.«
Ob in der Presse von Auseinandersetzungen berichtet worden ist oder nicht, lässt sich aus den Unterlagen nicht ersehen. Auch nicht, was in den Folgejahren passierte. Die Ausgrenzung der VVN aus dem öffentlichen Gedenken wurde jedoch fortgesetzt. Seit 1957 organisierten die Arbeiterwohlfahrt, die SPD und der DGB alljährlich die Gedenkfeier. Die VVN darf sich beteiligen, ist aber nicht mehr Organisator. Als 1957 die Sozialdemokraten das Gedenken wieder aufnahmen, waren sich die politisch Verantwortlichen nicht sicher, ob es nicht doch eine »getarnte« VVN-Veranstaltung wäre. Vorsichtshalber schickte man die Kriminalpolizei der Polizeidirektion Bielefeld zur Beobachtung der Veranstaltung.
In loser Folge stellen wir hier Dokumente aus den Archiven der VVN-BdA vor beziehungsweise beleuchten deren Arbeit.