editorial
27. April 2024
Habt ihr es gehört? Die Regierung ist jetzt auch bei der Kurzvideoplattform TikTok mit mehreren persönlichen Kanälen präsent. Unter anderem versucht Kanzler Olaf Scholz seine Politik da einer jungen Zielgruppe verständlich zu machen. Schwierig auf einer Plattform, die überwiegend zum kollaborativen Mitsingen und -tanzen entwickelt wurde und deren Algorithmus Erklärvideos und Argumentationen mit mehr als zehn Sekunden Länge nicht gerade belohnt. Die unbeholfenen Versuche, irgendwas für die Zielgruppe der 14- bis 19-Jährigen abzuliefern, hat nicht nur was mit dem Erfolg (über 50 Prozent der rund 20 Millionen deutschen Nutzer*innen kommen aus dieser Altersgruppe) zu tun, sondern mit der Prominenz rechter TikTok-Kanäle wie dem des AfD-Spitzenkandidaten für die EU-Wahl, Maximilian Krah. Dass die 16-Jährigen nunmehr nicht nur Alkohol trinken, Motorroller fahren und selbstständig ein Handy kaufen dürfen, sondern auch das EU-Parlament mitwählen, zwingt alle Parteien, auf die Generation Z (Z für »Zoomer«) zuzugehen. Statt aber die eigene (Jugend-)Politik zu überprüfen, und sich zu fragen, warum die AfD bei jungen Menschen die stärksten Zustimmungswerte erhält (aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung), wird die Misere dem Medium und der Form der Ankumpelei zugerechnet. Obwohl sich die Jugend überdurchschnittlich stark für den Verbleib in der EU ausspricht, wird der AfD eher zugetraut, das beste für die eigenen Bedürfnisse rauszuholen. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer sieht dahinter die Tendenz, nationale Souveränität nicht als Bedrohung für ernsthafte Zusammenarbeit zu begreifen, sondern als attraktive Erzählung von Überlegenheit, Macht und Profilierung gegenüber anderen. Der Kulturkampf von rechts ist zudem ein willkommenes Ventil, vor allem für junge Männer. Die Aneinanderreihung von Krisen und autoritären Lösungen, die das Weltbild der Jugend zuletzt prägte, sorgt für enttäuschte Erwartungen, Verunsicherung und ein Gefühl der Kontrolllosigkeit. Solange die Parteien ausnahmslos in dieses Horn blasen und so gar keinen Bock auf Zukunft sowie auf die Chancen europäischer Integration machen, wird sich dieser Trend fortsetzen – egal, wie er sich auf welcher Plattform auch immer artikuliert.