Europäische Union auf rechten Wegen
4. Juli 2024
Bei den EU-Wahlen bewahrheitete sich der vorhergesagte Aufschwung der extremen Rechten
Wie wichtig die politische Schwerpunktsetzung »Kampf gegen den Vormarsch der extremen Rechten« ist, die auf dem VVN-BdA-Bundeskongress im Juni in Halle an der Saale (siehe Länderseiten) diskutiert werden sollte, zeigte sich eine Woche später bei den EU-Wahlen. Bereits auf dem FIR-Kongress in Barcelona 2023 hatten die antifaschistischen Verbände Europas in einem deutlichen Appell auf diese Gefahr hingewiesen. Sie haben ihre Warnung verbunden mit inhaltlichen Aussagen, für welches Europa sie eintreten. Und noch wenige Tage vor der Wahl appellierten sie: »Geht wählen! Keine Stimme der extremen Rechten!«
Ähnliche Appelle wurden in mehreren Ländern von zivilgesellschaftlichen Initiativen, von Gewerkschaften, Sozialverbänden, antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, Umwelt- und Jugendgruppen formuliert und mit demonstrativen Aktionen für ein sozial gerechtes, demokratisches und friedliches Europa verbunden. Das Ergebnis dieses breiten gesellschaftlichen Engagements ist ernüchternd, wenn man die Resultate des EU-Wahlabends betrachtet.
Nicht im befürchteten Umfang
Wie bei allen »EU-Wahlprognosen« vorhergesagt, gab es tatsächlich einen Aufschwung der extremen Rechten, wenn auch nicht in dem Umfang, wie es in »Worst case«-Szenarien beschrieben wurde. Es lassen sich aber auch einzelne positive Resultate hervorheben. In Skandinavien verloren zum Beispiel die Schwedendemokraten (minus zwei Prozent) und die »Wahren Finnen« (Stimmenanteil halbiert). Auch in Dänemark verlor die Dansk Folkeparti vier Prozent, jedoch erzielte die rechte Konkurrenz, die »Dänemarksdemokraten«, über sieben Prozent der Stimmen, so dass der rechte Einfluss ausgeweitet werden konnte. Erfreulich ist, dass in Portugal und Spanien Chega und Vox hinter den befürchteten Resultaten zurückblieben. Offenbar hat die dortige gesellschaftliche Mobilisierung gegen die extreme Rechte Wirkung gezeigt.
Erschreckend ist das Ergebnis in Belgien, wo die flämisch-nationalistischen Parteien (N-VA und Vlaams Belang) auf über 27 Prozent kamen, während in Frankreich die Le-Pen-Partei »Rassemblement National« mit 31,5 Prozent einen Erdrutschsieg einfuhr. Zusätzlich erhielt die rechte Konkurrenz »Reconquête« mehr als fünf Prozent der Stimmen. Dass Präsident Emmanuel Macron daraufhin eine Parlamentsneuwahl für Ende Juni 2024 ansetzte, dürfte eine fatale Fehleinschätzung der politischen Mehrheiten in Frankreich sein.
In Österreich wurde die FPÖ mit 25,7 Prozent (plus neun) stärkste Kraft – eine schlechte Voraussetzung für die Parlamentswahlen im Herbst. Über Polen las man vom »Sieg« des Pro-Europäers Donald Tusk. Die Realität ist aber, dass nur etwa 40 Prozent der Wähler zur Abstimmung gingen und die extreme Rechte von PiS und Konfederacja Wolność i Niepodległość die Hälfte der Mandate erreichte. Ähnlich ist es in Ungarn, wo Medien von Verlusten für Orbáns Fidesz berichteten. Tatsächlich war sein stärkster Konkurrent ein ehemaliger Fidesz-Funktionär, der keinen Deut demokratischer als Orbán ist, und gleichzeitig zog die faschistische »Unsere Heimat« (6,5 Prozent) in das EU-Parlament ein. In Italien konnte die faschistische Regierung ihre Dominanz deutlich bestätigen, wobei die taktisch angepasste Variante von Giorgia Meloni (»Fratelli d’Italia«) sich mit etwa 30 Prozent gegen Matteo Salvinis Lega und gegen Forza Italia (jeweils knapp neun Prozent) durchsetzen konnte. Offenbar kam der Kuschelkurs mit Ursula von der Leyen bei den italienischen Wählern gut an. In Deutschland kam die AfD auf 15,9 Prozent. Erkennbar ist, dass die gesellschaftliche Mobilisierung gegen rechts und das mediale Trommelfeuer die »Stammwähler« der AfD nicht erreichte. Dramatisch für die kommenden Wahlen ist auch die Tatsache, dass die AfD im Osten mit Abstand stärkste Kraft wurde.
Zweitstärkste Kraft im EU-Parlament?
Damit werden aus fast allen Ländern, die an den EU-Wahlen beteiligt waren, extrem rechte Mandatsträger in das Parlament einziehen. In den kommenden politischen Debatten wird es darum gehen, unter welchen Voraussetzungen eine Zusammenarbeit der extrem rechten Parteien möglich wird. Die beiden bislang getrennt agierenden Fraktionen (EKR und ID), denen nach dieser Wahl schon jetzt über 130 Mandate zugerechnet werden, könnten zusammen mit einigen »Unabhängigen« die zweitstärkste Kraft werden. Jedoch gibt es zwischen den Parteien viele Friktionen und Animositäten, die ein Zusammengehen in einer gemeinsamen Fraktion erschweren. Die AfD hat mit ihrer Entscheidung, Maximilian Krah nicht in die Fraktion aufzunehmen, schon einmal gezeigt, wie weit sie im Interesse von Macht, Einfluss und Geld zu gehen bereit ist, um eine solche einheitliche Fraktion zu schaffen.
Statistisches zur EU-Wahl
Zwar war in einigen Ländern eine höhere Wahlbeteiligung zu verzeichnen, dennoch ist zu konstatieren, dass gerade einmal die Hälfte der 350 Millionen Berechtigten an den Wahlen teilnahmen. Das »Schlusslicht« bei der Wahlbeteiligung bildete diesmal Litauen mit knapp 29 Prozent. In Estland, wo man sogar online abstimmen konnte, beteiligten sich nur 37,8 Prozent. Selbst Frankreich und Spanien kamen lediglich auf etwa 50 Prozent Beteiligung. In Deutschland gab es eine höhere Wahlbeteiligung und auch für 16-Jährige die Möglichkeit abzustimmen. Die Jungwähler folgten jedoch mehrheitlich der CDU und der AfD, während die Grünen zwei Drittel ihrer Zustimmung in dieser Altersgruppe verloren.