Ins queere Hinterland

geschrieben von Pride Soli Ride

8. September 2024

Die Initiative »Pride Soli Ride«

Ost-Millenials aus der Provinz kennen es: dieses stärkende Gefühl, das aufkam, als diese eine Antifademo durchs eigene Dorf, die Kleinstadt oder den Stadtteil zog und man für einen Tag mal nicht allein oder in der Minderheit war. Einen Tag lang war man etwaigen Faschos und ihren bürgerlichen, »unpolitischen« Kumpels mal nicht schutzlos ausgeliefert, sondern erlebte ungewohnt ernstzunehmenden Widerspruch gegen die rechte Hegemonien in den ostdeutschen Provinzen, die Mitte der Nullerjahre, rund um das »Deutschlandmärchen« der WM 2006, als »No-go-Areas« debattiert wurden. Nicht wenige Antifaschist*innen dieser Generation haben diese Regionen zugunsten der Metropolen hinter sich gelassen.

Nicht nur sie, sondern alle Antifaschist*innen, unabhängig von ihrer Sozialisation, sollten spätestens jetzt, in der Pride-Saison 2024, ihre Solidarität wieder in die Regionen tragen. Und genau das ist das Anliegen der Initiative »Pride Soli Ride«, die im Frühjahr 2024 gestartet ist, um zu solidarischen Fahrten von Berlin zu den CSDs in den ostdeutschen Provinzen, in denen Landtagswahlen bevorstehen, aufzurufen. Die Initiative startete mit Rides zu den zum Teil allerersten CSDs in kleinen und mittelgroßen Städten in Brandenburg, um dann auch Prides in Thüringen und Sachsen zu unterstützen. Für die Organisator*innen, die zum Teil ostdeutsch, zum Teil westdeutsch und in verschiedenen Generationen sozialisiert sind, ist klar: Die engagierten Menschen in den einzelnen Regionen leisten starke Arbeit, einen CSD in der ostdeutschen Provinz auf die Beine zu stellen. Und dies in Zeiten, in denen autoritäre Stimmungen in weiten Teilen der Gesellschaft Raum greifen, regressive Haltungen in den Parlamenten Einzug halten und offen gewaltaffine Rechtsextreme zum Stören jeglicher Pride-Signale aufrufen. Dort zahlreich zu erscheinen ist also eine komplett andere Hausnummer, als es das auf den Partyparaden in den Metropolen ist.

Ob die jeweiligen Organisatoren es möchten oder nicht – CSDs in der Provinz sind schon durch ihr bloßes Stattfinden ein Politikum, eine antifaschistische Aktion. Und Antifaschist*innen aus den Metropolen sollten beim leisesten Aufruf zur Störung den local Queers solidarisch zur Seite springen. Es ist eine Frage der praktischen Solidarität zwischen Stadt und Land einerseits und der zwischen Queers und Antifas andererseits. Größer denn je ist die Gefahr durch eine absurde Vielfalt rechter Akteur*innen und Strukturen. Die Gefahr droht bzw. besteht in den Parlamenten und damit auch auf der Ebene der Finanzierung viele Demokratieprojekte, aber sie droht auch auf der Straße, beim CSD, aber auch im Alltag.

Es braucht das solidarische Vernetzen, Verbünden und Organisieren, mindestens durch Netzwerke wie »Polylux« (siehe antifa-Ausgabe Mai/Juni, Seite 11, die Redaktion), um Akteur*innen in den Regionen autonom von politischen Entscheidungen zu finanzieren. Es braucht aber auch konkrete Menschen, stabile antifaschistische Netzwerke, die es Queers in den Regionen ermöglichen, sicher sichtbar zu sein, sicher zu leben. Dazu bedarf es einer konkreten Menge an Teilnehmer*innen und aktivem Schutz von CSDs. Damit einher geht der Bedarf nach Austausch und Vernetzung von antifaschistischen mit queeren Strukturen. So wie es (im Idealfall) völlig klar ist, dass Antifas am Start sind, wenn Faschist*innen diverser Ausrichtungen versuchen, sich Raum zu nehmen, so klar sollte es werden, dass engagierte Antifas unterstützend am Start sind, wenn in einer kleineren Stadt (vor allem in Ostdeutschland oder eben in Regionen mit deutlicher rechter Präsenz) ein CSD stattfindet. Sie sollten sich in antifaschistischer Aktion üben, sich mit Strukturen vor Ort verbünden und Faschos daran hindern, einen CSD zu stören. Antifas dürfen dann auch gerne mit auf dem CSD tanzen, aber den Raum respektieren, und vor allem sollten sie dafür sorgen, dass die local Queers ohne Sorge um Leib und Leben ihre Existenz feiern und sich gegenseitig stärken können. Wenigstens einmal im Jahr. In einer der vielen kleinen Städte der ostdeutschen Provinz.

Nicht zuletzt sollten die local Queers aber auch den Rest des Jahres eigene Positionen, Haltungen und Netzwerke checken, denn eine wie auch immer ausgeprägte queere Identität heißt nicht automatisch, die queere Befreiung im antifaschistischen Kampf verwoben zu sehen. Das zeigen alle Schwulen- und Lesbengruppen in einzelnen konservativen bis rechten Parteien. Das Recht auf genau diese Differenz in Perspektiven und ebendiese genauso wie die individuelle Identität, ob geprägt durch Begehren, Gender, Herkunft, sozialen Status, Staatsbürgerschaft, Rassismus- oder Antisemitismuserfahrung oder die Schnittmengen daraus, ohne Angst vor Leid ausleben zu können, wird allerdings nur eine antifaschistische Perspektive und eine antifaschistische Aktion verteidigen können. Und das sollte in der jetzigen Situation das Mindestmaß sowohl für Queers als auch Antifas sein.

Deshalb gilt es, sich solidarisch zu zeigen, die Kämpfe in den Regionen zu unterstützen und sich zu verbünden. Um den Aktivist*innen und Queers vor Ort zu zeigen: Es ist stark und wichtig, dass ihr da, sichtbar und aktiv seid. Ihnen zur Seite zu stehen und im nächsten Schritt zu fragen: Was braucht ihr, wie können wir euch unterstützen? Und vielleicht sogar: Was können wir von euch lernen? Antifa ist auch immer Landarbeit, also los: raus ins queere Hinterland! Für die Freiheit, für das Leben, queere Antifa auf die Straße verlegen!