Peter Gingold.Foto: Archiv Silvia Gingold

8. September 2024

Interview mit Michael Ruf zum dokumentarischen Theater

antifa: Viele kennen eure Stücke. Seit wann gibt es euch, und was ist die Grundidee eures Theaters?

Michael Ruf: Mein erstes Theaterstück, die »Asyl-Monologe«, wurde erstmals 2011 dargeboten. In den Jahren danach habe ich die »Asyl-Dialoge«, »NSU-Monologe«, »Mittelmeer-Monologe« und »Klima-Monologe« entwickelt. Pro Jahr gibt es rund 100 Aufführungen, somit wurden genannte Werke bislang etwa 1.300-mal dargeboten. Meine Vision ist es, jene Geschichten zu verbreiten, die sonst im Diskurs zu kurz kommen: bei den Theaterstücken zu Flucht und Asyl die geflüchteten Menschen selbst; bei den »NSU-Monologen« die Stimmen der Familien der Hinterbliebenen; bei den »Klima-Monologen« vor allem jene Menschen im globalen Süden, die bereits von der Klimakrise dringlich betroffen sind.

antifa: Wie laufen die Veranstaltungen ab?

M. R.: Eine Darbietung ist roh und direkt. Schnörkellos erzählen professionelle Schauspieler*innen sehr persönliche Lebensgeschichten. Es ist, als ob die Schauspieler*innen die Menschen im Publikum direkt ansprechen, ihnen die Hand reichen und sie reinziehen in eine Welt, die die Zuschauer*innen von nun an nicht mehr kaltlassen wird. Verwickelt, verschlungen, verbunden und vernetzt mit den Protagonist*innen der Monologe, folgt das Publikum den Wegen der erzählten Geschichten.

Meist ist es ein Cello, das die Monologe begleitet, also Emotionsverstärker ist. Seit den »Mittelmeer-Monologen« gibt es auch Songs, die wir eigens für die Theaterstücke entwickelt haben, in denen die Geschichten der Protagonist*innen aufgegriffen werden.

Wichtig ist auch, dass es nach jeder künstlerischen Darbietung ein Publikumsgespräch gibt. Hier kommen Aktivist*innen bzw. Expert*innen zu Wort, geben Zusatzinfos und beantworten Fragen aus dem Publikum.

antifa: Wie kommt ihr an die Interviewpart-ner*innen, und wie werden sie in die Komposition eingebunden?

M. R.: Meine Suche nach Interviewpartner*innen ist der zentrale Faktor in der Entwicklung eines neuen Theaterstücks. Weil meine Werke ja wortgetreues Theater sind. Der Schreibprozess sieht wie folgt aus: Zunächst führe ich eine Vielzahl an Vorinterviews, die auch schon jeweils mehrere Stunden dauern. Dann treffe ich eine Auswahl, welche Personen zu den Protagonist*innen des Theaterstücks werden. Mit diesen Menschen finden dann weitere Interviews statt, so dass ich mit ihnen letztendlich ein bis zwei Tage spreche. Ich verkürze dann die Interviews lediglich, ohne etwas hinzuzuerfinden. Auch die sprachliche Ausdrucksweise behalte ich bei. Teils werden mir Gesprächspartner*innen durch andere vermittelt. Bei den »Klima-Monologen« beispielsweise habe ich »Field Agents« in betroffene Regionen geschickt, die dann aufgrund meiner Kriterien eine Vorauswahl an Personen getroffen haben. Aber entscheidend ist, dass ich mir in den Vorinterviews Zeit nehme, um die Personen ausführlich kennenzulernen. Sobald ein erster Entwurf vorliegt, stelle ich diesen den Protagonist*innen vor. Diese geben mir dann Feedback und teilen mir mit, ob sie mit der Repräsentation ihrer Geschichte einverstanden sind. Selbstverständlich laden wir später dann die Interviewpartner*innen auch ein, sich auch eine Theateraufführung ihrer Geschichte anzuschauen. Die Reaktionen sind dann teils sehr unterschiedlich: von einem Gefühl des Stolzes bzw. der Wertschätzung bis hin zu einem Empfinden von Schmerz.

antifa: Wer lädt euch ein, mit wem arbeitet ihr zusammen?

M. R.: Üblicherweise werden wir von einem breiten Spektrum politischer Akteure eingeladen. Bei den »Klima-Monologen« zum Beispiel unterschiedlichste Player aus der Klimabewegung, sei es Fridays for Future, Parents for Future, BUND, Greenpeace, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das Black Earth Kollektiv oder die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik.

antifa: Die große Anzahl an Aufführungen ist nur durch eine entsprechende Menge an Schauspieler*innen möglich. Wie können wir uns das Netzwerk dahinter vorstellen?

M. R.: Ein bundesweites Netzwerk von Schauspieler*innen und Musiker*innen bietet die Theaterstücke dar. Somit sind es meist regionale Schauspieler*innen und Musiker*innen, welche die »Monolog«-Stücke aufführen. Bei einer Anfrage aus Hamburg kontaktieren wir unsere Künstler*innen aus Hamburg. Kommt eine Einladung aus München, rufen wir die Münchner Künstler*innen an. Und werden wir nach New York eingeladen, arbeiten wir mit Künstler*innen aus New York. Das Netzwerk wächst kontinuierlich, meist durch Empfehlungen von bereits engagierten Künstler*innen. In den letzten Jahren haben sich bereits ca. 500 Künstler*innen engagiert.

Mehr Infos und Kontakt:

www.wort-und-herzschlag.de