Druck der Straße
1. November 2024
Internationale Perspektiven auf den gesellschaftlichen Einfluss von Protesten
In seinem Buch »Die neue Protestkultur« bietet Tareq Sydiq eine tiefgehende Analyse der gegenwärtigen Protestbewegungen und von deren gesellschaftlichen Auswirkungen. Am Beispiel von Hongkong, sozialen Bewegungen in Deutschland, der feministischen Bewegung im Iran und der Revolution und Gegenbewegung im Sudan werden die Dynamiken, die diese Bewegungen prägen, aufgezeigt. Thema ist ebenso, wie die vermeintlich spontanen Proteste mit sozialen Bewegungen verknüpft sind.
Das Buch ist in mehrere Kapitel unterteilt, die jeweils einen bestimmten Aspekt der Protestkultur thematisieren. Sydiq beginnt mit einer umfassenden Einführung in die Geschichte des Protests, von den frühen sozialen Bewegungen bis hin zu den heutigen globalen Kämpfen. Er macht deutlich, dass viele der gegenwärtigen Bewegungen, sei es im Kontext von Klimaaktivismus, Antirassismus oder sozialen Gerechtigkeitsfragen, auf langjährige Traditionen zurückblicken.
Ein zentraler Punkt der Analyse ist die Rolle der sozialen Medien. Sydiq argumentiert, dass Plattformen wie X (einst Twitter), Instagram und TikTok nicht nur als Sprachrohre für Aktivist*innen fungieren, sondern auch neue Formen der Mobilisierung und Vernetzung ermöglichen. Dies zeigt sich vor allem anhand der Demokratieproteste in Hongkong, deren dezentrale Organisierung maßgeblich über soziale Netzwerke und Apps möglich war und es so dem Staat erschwert wurde, gegen die Proteste vorzugehen.
Ob Proteste erfolgreich sind, lässt sich allerdings immer erst im Nachhinein feststellen und hängt von vielen äußeren Faktoren ab. Doch auch, wenn Proteste ihr Ziel nicht erreichen, sammeln Protestierer*innen dabei Fähigkeiten und Kontakte, auf die sie sich später wieder stützen können. Und das Verhältnis von Protest und Politik? Proteste können ein wichtiges Korrektiv sein, aber Politik nicht ersetzen, so Sydiq. Das beständige Hineinwirken in die Gesellschaft und auf politischer Ebene wird durch soziale Bewegungen verstetigt, die allerdings weniger aus Protesten hervorgehen, sondern oft für diese die Grundlage schaffen.
Im letzten Kapitel blickt Sydiq kritisch auf die Einschränkung von Grundrechten am Beispiel der Debatten rund um Versammlungsfreiheit und auf die Rolle von Protest als ein politisches Frühwarnsystem bei gesellschaftlichen Fehlentwicklungen. Zudem geht er darauf ein, dass Proteste auch von extrem Rechten und islamistischen Kräften genutzt werden. Hier braucht es kräftigen demokratischen Gegenwind – auf der Straße und in den Parlamenten.
Sydiq gelingt es, komplexere Theorien verständlich zu machen, ohne dabei an Tiefe zu verlieren. Die Verwendung von Beispielen macht die Argumentation anschaulicher. Stellenweise hätte eine Einführung in die Gegebenheiten der jeweiligen nationalen gesellschaftlichen Kontexte und Ziele der Proteste geholfen, diese besser zu verstehen – hier verliert Sydiq vielleicht manchmal in der Analyse seine Leser*innen etwas. Insgesamt ist das Buch ein lesenswerter Beitrag zur aktuellen Debatte über soziale Bewegungen und deren Rolle in der Gesellschaft. Es regt zum Nachdenken an, welchen Einfluss Proteste haben können.