Plakatierte Geschichte
1. November 2024
Antifaplakate aus Thüringen seit 1990 in einem neuen Buch
Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, es handele sich um ein Plakat der autonomen Antifabewegung der 1990er-Jahre. Zu sehen sind vermummte Personen – mal allein, mal in einer Demo. Aufgerufen wird zu einem Protest gegen ein Neonazizentrum im thüringischen Saalfeld am 11. Oktober 1997, unter dem Motto »Den rechten Konsens brechen«. Doch beim näheren Hinsehen gibt es eine Irritation. Denn in dem Textfeld auf dem Plakat kann man erfahren, dass die Demo nicht nur von Antifagruppen aus dem gesamten Bundesgebiet unterstützt wird. Auch FDP-Politiker*innen, DGB-Ortsgruppen und mehrere Einzelgewerkschaften sowie der Landesverband Thüringen von Bündnis 90/Die Grünen hatten aufgerufen.
Wir sehen hier das Dokument einer Antifademonstration, zu der neben der damals noch mobilisierungsstarken autonomen Antifabewegung auch Bündnispartner*innen aus dem gewerkschaftlichen und linksliberalen Lager aufgerufen hatten. Diese Demonstration sorgte wochenlang für Schlagzeilen – auch bundesweit. Denn sie wurde von der Polizei verboten. Zuvor war über Wochen von Medien und Politiker*innen Stimmung gemacht worden. Die Folgen waren das Demoverbot und ein großes Aufgebot an Polizei, die auf den Autobahnen in Thüringen Busse und Autos anhielt, in denen sie potentielle Demonstrant*innen vermutete. Alles zur Freude der Neonazis, die auch selbst noch ihre Gegner*innen angriffen. Die linke Wochenzeitung Jungle World beschrieb die Gemengelage treffend: »Militante Neo-nazis, die Stadt Saalfeld und der SPD-Innenminister Richard Dewes verhinderten gemeinsam die Antifa-Demo im thüringischen Saalfeld«.
Die Polizeistaatsszenarien gegen Antifa-schist*innen sorgten monatelang für Diskussionen, waren aber nach einiger Zeit wieder vergessen. In dem kürzlich erschienenen Band »Druckmachen – Linke Plakate in Thüringen seit 1990« ist das zentrale Mobilisierungsplakat für die Saalfeld-Demonstration von 1997 abgedruckt. Insgesamt 164 Plakate der außerparlamentarischen Linken Thüringens aus den vergangenen 35 Jahren sind dokumentiert. Mindestens zwei Drittel der Poster drehen sich um den Kampf gegen Nazis in sehr verschiedenen Formen. Vor allem in den früheren 1990er-Jahren gab es noch in Handarbeit hergestellte Poster, wie den Aufruf zu einer Demonstration »gegen Rassenhass und Faschismus und für eine multikulturelle Gesellschaft« am 4. April 1992 in Ilmenau. In den Band aufgenommen wurde auch das zentrale Plakat der VVN-BdA Thüringen zum 50. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald, das zur Gedenkkundgebung am 9. April 1995 auf dem Appellplatz des ehemaligen KZ aufruft.
In dem Band finden sich mehrere Plakate, die antifaschistische Ratschläge in Thüringen bewerben. Sie sind schon seit den späten 1990er-Jahren zu einem wichtigen Labor für eine antifaschistische Bündnispolitik in Thüringen geworden. Autonome Antifaschist*innen waren ebenso beteiligt wie Politiker*innen der PDS, aber auch zahlreiche Gewerkschafter*innen. Erkennbar war deren Engagement durch eine gelbe Hand, versehen mit der Parole »Mach meinen Kumpel nicht an«. Es ist ein Symbol eines gewerkschaftlichen Antirassismus, der schon in den 1980er-Jahren in der BRD entstanden war. Das zeigt, dass der Aufstieg rechter und faschistischer Bewegungen eine lange Geschichte hat, aber auch der Widerstand dagegen.
In dem Begleittext des Bandes wird ausdrücklich Angelo Lucifero erwähnt, der für einige der Plakate namentlich die Verantwortung übernahm. Er war in den 1990ern Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) und hatte einen großen Anteil daran, dass Thüringen schon in den 1990er-Jahren zu einem Labor für antifaschistische Bündnispolitik wurde. Eine wichtige Rolle spielten dabei die antifaschistischen und antirassistischen Ratschläge in verschiedenen Thüringer Städten, auf denen autonome Antifas mit VVN-BdA-Mitgliedern und linken Gewerkschafter*innen diskutierten. Dort lernte man sich besser kennen, und es entwickelte sich Vertrauen zwischen den unterschiedlichen antifaschistischen Spektren.
Demonstrationsverbote wie in Saalfeld waren auch eine staatliche Antwort auf diese Bündnispolitik. Die Kampagne gegen Angelo Lucifero gehörte ebenfalls dazu. Weil der Druck und die Drohungen von rechts wuchsen und sich der Gewerkschafter von den Gremien seiner HBV nicht genügend unterstützt fühlte, musste Lucifero schließlich sein Engagement in der ersten Reihe aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Doch die antifaschistische Bündnispolitik wurde fortgesetzt. Es ist auch ein Verdienst des Herausgeber*innenkreises des Bandes, an den Gewerkschafter und Antifaschisten Angelo Lucifero erinnert zu haben.
Dem Autor*innenkollektiv Druckmachen ist es gelungen, die antifaschistische Geschichte Thüringens nach 1990 mit dem Mittel ihrer Plakate besonders anschaulich zugänglich zu machen. Für die Jüngeren ist es eine Heranführung an linke Geschichte. Die Älteren werden konfrontiert mit vergangenen Kämpfen, die es wert sind, dass an sie erinnert wird. Es wäre wünschenswert, wenn es auch in anderen Regionen eine solche Erinnerungsarbeit gäbe. Vielleicht gibt die Arbeit von Druckmachen dazu Impulse.