Unbeackerter Nährboden
1. November 2024
Anton Stengl hat ein Buch über die europäische »Neue Rechte« veröffentlicht
Überall in Europa und in anderen Teilen der Welt ist die Rechte auf dem Vormarsch. In Frankreich konnte ein Wahlsieg der rechtsnationalistischen bis semifaschistischen Partei Rassemblement National (RN) im zweiten Wahlgang zur National-versammlung noch verhindert werden. In den traditionell liberalen Niederlanden ging die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen im November 2023 hervor und ist nun Bestandteil der Regierung. Und in Italien führen sie mit Giorgia Melonis Fratelli d’Italia (FdI) die Regierung an.
Ethnopluralismus postuliert
In der BRD entstand die »Neue Rechte« um 1969/1970. Sie postulierte einen sogenannten Ethnopluralismus. Diese Vertreter einer Vision eines Europa und einer Welt voller Apartheid suchten nicht zuletzt den Kontakt zu Intellektuellen, sogar bis in das linke Spektrum hinein. Rechtspopulismus bzw. die »Neue Rechte« gedeihen auf einem Nährboden der Unzufriedenheit, den andere politische und gesellschaftliche Kräfte außerstande sind zu beackern.
Anton Stengl widmet sich in seinem Buch »Ungleichheit und Hass« dem italienischen Rechts-nationalisten Diego Fusaro. Er »bietet sich als eine Art von ›Aufhänger‹ zur Beschreibung und besonders zur ideologischen Kritik der in Europa perfekt vernetzten ›Neuen Rechten‹ an. Er ist Anfang 30, kommt aus keiner faschistischen Familie, hat mit Stechschritt und Uniformen nichts zu tun, war immer ein Musterschüler und ein braver Student. Von ihm würde niemand denken, er sei ein faschistischer Ideologe.« Stengl betont: »Die ›Neue Rechte‹ ist nicht einfach ›in der Mitte der Gesellschaft‹ angekommen – eher hat sie sich aus ihr heraus entwickelt. Thilo Sarrazin und Peter Sloterdijk kamen nicht von irgendwelchen rechten Rändern!«
Schöpfer von Denkbildern und Argumenten
Alain de Benoist, der Vordenker der französischen »Nouvelle Droite«, wird von Stengl näher beleuchtet. Auf ihn gehen viele heute in der »Neuen Rechten« präsente Denkbilder und Argumente zurück, zum Beispiel die prinzipielle Ungleichheit, der »Ethnopluralismus«, der Primat der »nationalen Identität«, die Abneigung gegen Demokratie und Sozialstaat. Doch war auch de Benoist ein Epigone älterer Vorläufer, deren Wirken mit dem Ende des Ersten Weltkrieges einsetzte. In der Weimarer Republik waren es die »Jungkonservativen« um Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt oder Ernst Jünger. Moeller van den Bruck prägte sowohl den Ausdruck vom »Dritten Reich« als auch die Floskel vom »deutschen Sozialismus«, von dort aus war es nur ein kleiner Schritt zum »Nationalsozialismus« der NSDAP. Die Jungkonservativen als damalige »Neue Rechte« waren Stichwortgeber, Steigbügelhalter und Wegbereiter des Hitlerfaschismus. Ihr Vorbild war Benito Mussolini.
Diametrale Uminterpretation
Stengls Anknüpfung an die »Neue Rechte« in Italien ist deshalb auch ein Blick in die Vergangenheit und gleichzeitig ein Ansatz, der von Italien aus in die europäische Geschichte zurück und in die Europäische Union der Gegenwart blickt. Dabei zieht er die Traditionslinien der italienischen »Neuen Rechten« ebenso zu Rate wie die des deutschen Pendants AfD. »Ungleichheit und Hass« benennt zwei wesentliche inhaltliche Eckpunkte der gegenwärtigen europäischen »Neuen Rechten«. Dass diese sogar den Begriff der Ungleichheit aufnimmt, ihn aber durch eine diametrale Uminterpretation der Linken entreißt und in ein autoritäres Gesellschaftsmodell integriert, ist nicht zufällig, denn diese Begriffsumdeutung schafft die Deutungsmacht, die vormals linksorientierte Intellektuelle konvertieren lässt. Was für die Ungleichheit in der Gesellschaft gilt, gilt im neurechten Denken umso mehr für die Ethnien. Zwangsläufig geht Ungleichheit in Überlegenheit über. Souverän ist eine bestimmte Rasse, Nation, Volk, Ethnie, usw., die dann einen Herrschaftsanspruch äußert. Von dieser Warte aus kann es auch keine Universalität von Menschenrechten geben. Man denkt schnell an Lampedusa und »Pushbacks«, an Gewalt.
Fusaro und andere Epigonen dieses Semifaschismus haben der Meloni-Regierung vorgearbeitet. Klare Unterscheidungen zwischen »Wir« und »Die«, zwischen den »armen« nativen Italienerinnen und Italienern als Betrogene und Ausgebeutete und zum Beispiel den »bösen« Geflüchteten, den verschwörerischen und machtgierigen Bürokraten in Europa und dem großen ausländischen Geld (mit antisemitischem Unterton) führten zu einer Polarisierung, die eine offen rechtsradikale Regierung möglich machte. Stengl warnt, was in Italien geschah, könnte auch hierzulande drohen.