Ziel ist es einzuschüchtern

1. November 2024

Filmkollektiv hat Doku zu Razzien gegen Antifas produziert. Ein Gespräch mit Tim

antifa: Euer ehrenamtlich arbeitendes Filmkollektiv »Insight Reports« hat jüngst die Doku »Zwischen Trauma und Gewalt: Hausdurchsuchungen gegen Antifas auf dem Prüfstand« auf Youtube veröffentlicht. Was steht im Fokus des Films?

Tim: Wir thematisieren darin das polizeiliche Mittel der Hausdurchsuchung am Beispiel der Razzien vom 15. März 2023 in Leipzig und Jena. Dabei haben sich unsere Recherchen auf das Erlebte der betroffenen Menschen konzentriert. Insgesamt wurden an dem Tag 13 Wohnungen durchsucht, und der Vorwurf aller Maßnahmen waren Fälle von gefährlicher Körperverletzung gegen Teilnehmer des rechten Aufmarschs am »Tag der Ehre« im 2023 in Budapest.

Wir wollen mit dem Film auch die Nachwirkungen – insbesondere die psychischen und sozialen Folgen – dieser Einsätze aufzeigen, aber ebenso ganz grundsätzlich die Abläufe. Zudem geht es uns darum, das fragwürdige Handeln der eingesetzten Polizist:innen öffentlich zu machen, und nicht zuletzt darum, die Aufnahmen für eine mögliche Aufarbeitung zur Verfügung zu stellen. Ein weiterer Fokus war, das polizeiliche Mittel solcher Razzien im Kontext von Ermittlungen gegen antifaschistische Aktivist:innen gerade auch in Leipzig zu bewerten und die politische Instrumentalisierung einer solchen Maßnahme zu untersuchen.

antifa: Für die Doku habt ihr mit vielen Personen gesprochen. Mit wem?

Tim: Im Rahmen der Recherche haben wir mit vielen Betroffenen der Razzien vom 15. März Hintergrundgespräche geführt. Das waren allesamt keine Beschuldigten, sondern ausschließlich – im Polizeijargon gesprochen – Drittbetroffene wie Nachbarn, Eltern, Geschwister oder Mitbewohner:innen. Am Ende hat sich nur eine Person, Louise, die zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung 16 Jahre alt war, dafür entschieden, mit ihren Erlebnissen vor eine Kamera zu treten und darüber öffentlich zu sprechen. Weitere Perspektiven von Betroffenen konnten wir durch schriftliche Interviews abbilden. Darüber hinaus haben wir mit einem niedergelassenen Psychotherapeuten aus Berlin gesprochen, der uns über die psychischen Folgen einer Hausdurchsuchung informierte. Zudem inter-viewten wir die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel von Die Linke. Sie sprach über die Kontinuität von Hausdurchsuchungen in Leipzig in den letzten Jahren und stellte ihre parlamentarische Kontrolle der Polizeiarbeit im Landtag vor. Schließlich haben wir auch mit einem Mitglied des Bundesvorstandes der Roten Hilfe ein Gespräch geführt. Hierbei ging es darum, die möglicherweise politische Instrumentalisierung von Hausdurchsuchungen zu beleuchten und darzustellen, welche sozialen und finanziellen Folgen diese für die Betroffenen haben.

antifa: Welche Gemeinsamkeiten gab es bei den Razzien bezogen auf das Verhalten der Beamt:innen?

Tim: In den Augen der Betroffenen ein sehr brutales Vorgehen der Polizei. Und dies, obwohl die Menschen zum Zeitpunkt der Razzien überhaupt keiner Straftat beschuldigt waren. Es gab also scheinbar eine Gefährdungsanalyse der Polizei, die mit sich brachte, dass die Türen aufgebrochen oder sogar aufgeschossen wurden, und sehr rabiat mit den Menschen umgegangen wurde, obwohl sogar Kinder betroffen waren. Sicherlich muss man dieses Verhalten im Kontext von Ermittlungen gegen Antifas bzw. Linke sehen. Ergebnis ist nicht zuletzt, dass Betroffene und ihr Umfeld eingeschüchtert werden. Ein kalkuliertes Ziel der Behörden könnte auch sein, dass brutale oder traumatisierende Erfahrungen mit der Polizei zu Rückzug oder Angst führen. Auch Bloßstellungen in der Nachbarschaft oder im beruflichen Umfeld werden in Kauf genommen. Vieles davon konnten wir in diesem Fall beobachten. Scheinbar wird das Mittel der Hausdurchsuchungen häufiger genutzt und dabei gehen auch die Beamt:innen gewaltsamer vor.

antifa: Wie entstand euer Interesse an dem Thema?

Tim: Vorweg: Das Mittel der Hausdurchsuchung ist ein sehr schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte eines Menschen. Die Nachwirkungen, ob psychisch, finanziell oder sozial, sind sehr gravierend. Überraschenderweise gibt es zu diesem Thema bis auf wenige Ausnahmen kaum öffentliche Berichterstattung oder tiefgehende Recherchen. Das weckte schon unser Interesse, sich dem Thema einmal näher zu widmen, und dann kam der 15. März: Man sah auf Social Media Bilder von aufgeschossenen Türen und eben diesem riesigen SEK-Einsatz in einem Mehrfamilien-haus in Leipzig-Connewitz. Darauf folgte erneut kaum journalistische Aufarbeitung des Vorgefallenen. So entstand die Idee, das könnte unser erster Film zum Thema werden. Wichtig erschien uns insbesondere, die Erlebnisse der betroffenen Menschen darzustellen und deren Perspektiven einmal aufzuzeigen. Häufig ist es eben doch der Standpunkt der Polizei, der in vielen Medien als die hundertprozentige Wahrheit gelten soll. Mit journalistischer Sorgfaltspflicht hat dies aber wenig zu tun, die Eigenrecherche fehlt sehr häufig.

Gefreut hat uns, dass wir nach Erscheinen des Films sehr gutes Feedback bekommen haben, was uns natürlich darin bestärkt, dass wir einen Nerv getroffen haben. Wir halten uns da für die Zukunft noch offen, ob und wie es mit neuen Projekten weitergehen wird.

Tim hat am Film »Zwischen Trauma und Gewalt: Hausdurchsuchungen gegen Antifas auf dem Prüfstand« mitgewirkt und ist Teil des Filmkollektivs »Le-Je«. Zu finden ist der Film unter: youtube.com/@insight.reports. Vorführungen sind in Leipzig, Jena und Kiel geplant.
Kontakt filmkollektiv.leje@systemli.org

Das Gespräch führte Andreas Siegmund-Schultze.