Aus der »Mitte«

geschrieben von Janka Kluge

4. Januar 2025

Thorsten Mense und Judith Goetz zur Entstehung und Etablierung der AfD

Im Unrast Verlag ist jüngst der sehr lesenswerte Sammelband »Rechts, wo die Mitte ist«, herausgegeben von Thorsten Mense und Judith Goetz, erschienen. Der Ansatz der beiden Herausgeber*innen ist die Analyse, dass die AfD aus der Mitte der Gesellschaft heraus entstanden ist und am Anfang kein ordinär extrem rechtes Projekt war. Im Vorwort schreiben sie: »Der Erfolg der AfD liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie einen modernisierten Rechtsextremismus vertritt und daher für sehr unterschiedliche Menschen, Milieus und Gruppen identitätsstiftend sein kann, die der traditionelle Rechtsextremismus nicht ansprechen konnte« (S. 10).

Davon ausgehend analysieren verschiedene Autoren das Verhältnis der AfD zur modernen Gesellschaft. Sebastian Friedrich schildert zu Beginn die Entstehungsgeschichte der AfD und ihre Entwicklung bis heute. Dazu gehört auch, wie andere Parteien auf die AfD reagieren. Dabei zeigt sich am Beispiel der CDU, dass nicht nur Forderungen der AfD übernommen wurden, sondern mit der Werte-union aus der Union heraus eine Partei entstanden ist, die die Zusammenarbeit mit der AfD vorantreiben will. »Ein Blick auf die Entwicklungen christdemokratischer und gemäßigt-konservativer Parteien in anderen EU-Staaten zeigt, dass die Zerstörung der Union kein Wunschtraum von AfD-Politiker*innen sein muss.« (S. 33)

Fabian Virchow und Alexander Häusler gehen im nächsten Kapitel auf die Frage ein, was eine treffende Beschreibung der AfD sein mag. Sie stellen dabei die drei Begriffe rechtspopulistisch, rechtsextrem und faschistisch gegenüber. Zusammenfassend schreiben sie: »Hinsichtlich der Inszenierungsformen, rhetorisch-historischen Bezugnahmen und einem völkisch-nationalistischen Gebaren finden sich in der Partei zugleich faschistische Merkmale. Diese Gemengelage – die AfD als extrem rechts radikalisierte Bewegungspartei mit rechtspopulistischer Agitationsweise und protofaschistischer Selbstinszenierung – markiert den aktuellen Stand der Entwicklung der AfD.« (S. 47)

Der Herausgeber Thorsten Mense hat im Buch einen Beitrag über »Autoritäre Formierung und identitäres Bedürfnis« veröffentlicht. »Der Resonanzraum, in dem die Normalisierung ihrer rechtsextremen Positionen stattfindet, besteht einerseits aus den Medien, die ihre Vertreter*innen interviewen, in Talkshows einladen und die Begriffe und Themen der Partei übernehmen, sowie andererseits aus Parteien und Politiker*innen der politischen ›Mitte‹, die sich die Sprache und Konzepte der AfD zu eigen machen.« (S. 54)

Thorsten Mense und Judith Goetz (Hg.): Rechts wo die Mitte ist. Die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus. Unrast Verlag, Münster 2024, 320 Seiten, 19,80 Euro

Thorsten Mense und Judith Goetz (Hg.): Rechts wo die Mitte ist. Die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus. Unrast Verlag, Münster 2024, 320 Seiten, 19,80 Euro

Die »Mitte« der Gesellschaft übernimmt die Stichworte der AfD, weil sie ähnlich denkt. Das Unsagbare sagbar zu machen, gelingt nur bei Menschen, die davor das Unsagbare gedacht haben. Daniel Keil beschäftigt sich mit dem »Mythos Mitte«. Er arbeitet dabei heraus, dass es oft vermeintliche wissenschaftliche Diskurse sind, die die öffentlichen Auseinandersetzungen nach rechts treiben. »Hierbei sind es nicht die Abgehängten oder die Arbeiter*innenklasse, sondern maßgebliche rechte Intellektuelle, die über Themen wie Wissenschaftsfreiheit oder die angebliche Herrschaft von ›Political Correctness‹ und ›Cancel Culture‹ versuchen, die Konfliktarenen zu strukturieren.« (S. 81)

Max Czollek beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Normalisierung des Antisemitismus und zwar ausgehend von der Rede Martin Walsers zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 in der Paulskirche in Frankfurt am Main. Dabei hatte Walser von einer Instrumentalisierung des Holocaust gesprochen, unter frenetischem Applaus. Der Antisemitismus ging zusammen mit einem grassierenden Nationalismus.

Sonja Brasch und Lars Huber thematisieren den Einfluss der Burschenschaften auf die AfD, beide Autor*innen schreiben sonst für die antifaschistische Zeitung Lotta. Simone Rafael hat dem Sammelband einen Beitrag über die Aktivitäten der AfD auf Social Media beigesteuert. Seit längerem ist bekannt, dass die Zustimmung junger Menschen zur AfD maßgeblich von ihrem Tik-Tok-Auftritt beeinflusst wird. Im Artikel wird das Internet als vorpolitischer Raum bezeichnet. Die Partei habe »von Anfang an alle Plattformen bespielt, die ihr nützlich erschienen – ohne lästige Debatten um Datenschutz, über das passende Wording von Beiträgen oder Angst vor der Lächerlichkeit des eigenen Auftritts« (S.140). Im Beitrag wird herausgearbeitet, dass die AfD nach einem bestimmten Muster vorgeht: Sie postet Themen, bei denen eine hohe Emotionalität gegeben ist. Das hat zur Folge, dass die Tweets häufig geliked sowie kommentiert werden und dadurch eine höhere Sichtbarkeit erreichen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Auseinandersetzung mit der AfD zu Homosexualität und dem Selbstbestimmungsgesetz. Obwohl mit Alice Weidel eine offen lesbisch lebende Frau an der Spitze steht, ist die AfD keine Partei, die sich für die Belange von homosexuellen und queeren Menschen einsetzt – im Gegenteil. Das Buch wird abgeschlossen mit einer Gruppendiskussion zu der Frage »Antifa neu denken« mit Menschen aus verschiedenen antifaschistischen Gruppen.