Ein antifaschistischer Journalist

geschrieben von Ulrich Schneider

4. Januar 2025

Kurt Nelhiebel ist gestorben

Sein Werdegang und seine politische Prägung waren eng mit der Erfahrung des deutschen Faschismus verbunden. Geboren am 29. Juni 1927 in Německé Jablonné (Deutsch Gabel) in der Tschechoslowakei und im Teil des Sudetengebietes, erlebte er als Elfjähriger, wie nach dem Münchener Diktat seine Heimat dem Deutschen Reich einverleibt wurde. Sein Vater Eugen war deutschsprachig, er verstand sich als Antifaschist. Noch gegen Kriegsende wurde Kurt Soldat. Diese Erfahrungen hat er in Form eines Tagebuchs und des Briefwechsels mit seinem Vater verarbeitet.

Hierin wird seine antifaschistische Haltung spürbar. Dennoch war für ihn die Befreiung 1945 mit einer negativen Erfahrung verbunden. Ungeachtet der antifaschistischen Überzeugung wurde seine Familie im September 1946 als Sudetendeutsche aus der Tschechoslowakei abgeschoben. Das hat er sein Leben lang als Unrecht angesehen, auch wenn er – anders als die Revanchistenverbände – durchaus reflektiert mit den historischen Voraussetzungen dieser Umsiedlung (»Odsun«) umging. Unter dem Titel »Verstaubte Kulisse Heimat: Über die Kausalität von Krieg und Vertreibung« legte er 2007 im PapyRossa Verlag, in dem er mehrere seiner Bücher veröffentlichte, seine Reflexionen zu dem Thema vor. Rechtsanwältin und Antifaschistin Renate Hennecke urteilte in einer Rezension: »Charakteristisch für die Haltung des Verfassers ist, dass er seinen Schmerz über die Ausweisung aus seiner böhmischen Heimat nie verhehlt, sie sogar ›ein zum Himmel schreiendes Verbrechen‹ nennt, gleichzeitig aber nüchtern über die Ursachen nachdenkt und Anmaßungen zurückweist«.

Am 11. November 2024 verstarb im Alter von 97 Jahren in Bremen der antifaschistische Journalist Kurt Nelhiebel. Er war über viele Jahrzehnte mit der VVN, später der VVN-BdA verbunden, auch wenn er aufgrund seiner beruflichen Position weniger öffentlich im Zusammenhang mit der VVN-BdA auftrat.Foto: kurt-nelhiebel.de

Am 11. November 2024 verstarb im Alter von 97 Jahren in Bremen der antifaschistische Journalist Kurt Nelhiebel. Er war über viele Jahrzehnte mit der VVN, später der VVN-BdA verbunden, auch wenn er aufgrund seiner beruflichen Position weniger öffentlich im Zusammenhang mit der VVN-BdA auftrat.
Foto: kurt-nelhiebel.de

In diesem Sinne begann er auch in den 1950er-Jahren seine journalistische Tätigkeit. Zuerst war er Korrespondent der Gemeinde, einer monatlichen Zeitschrift der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Für diese berichtete er ab 1963 in 21 Reportagen vom ersten Auschwitzprozess in Frankfurt am Main. Bei dieser Arbeit lernte er Rudi Schneider, der für die antifaschistische Wochenzeitung Die Tat den Prozess verfolgte, und Peter Christian Walter, der ebenfalls für Die Tat arbeitete, kennen. Zu letzterem entwickelte er seit dieser Zeit ein sehr enges persönliches Verhältnis.

Sein beruflicher Werdegang führte ihn ab 1965 nach Bremen, wo er zuerst Nachrichtenredakteur, später Nachrichtenchef von Radio Bremen wurde. Da aus seinem Verständnis von journalistischer Arbeit ein Nachrichtenredakteur neutral sein sollte, legte er sich für Kommentare zum Zeitgeschehen ein Pseudonym zu: Conrad Taler. Und unter diesem Namen veröffentlichte er seine Bücher. Schon Anfang der 1970er-Jahre entlarvte er in dem Buch »Rechts wo die Mitte ist – Der neue Nationalismus in der Bundesrepublik« die gleichartigen Argumentationen von CDU, CSU und NPD. Der Publizist Harry Pross schrieb damals: »Das Buch zeigt, dass in der Mitte der bundesrepublikanischen Szenerie argumentiert wird, wie die Totengräber der Weimarer Republik argumentiert haben.«

Es würde den Rahmen sprengen, die Vielzahl seiner Themen und Veröffentlichungen an dieser Stelle aufzulisten. Seine Veröffentlichungen waren nicht nur wissenschaftlich fundierte Geschichtsdarstellungen, sondern auch immer wieder Einmischungen in den gesellschaftlichen Diskurs. Als die Revanchistenverbände in Berlin ein »Zentrum gegen Vertreibung« zur Präsentation ihrer Ansprüche gegenüber den östlichen Nachbarländern forderten, unterstützte er eine Petition für eine veränderte Konzeption der »Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung«, bei der die Vertreibung von Antifaschisten und jüdischen Menschen aus dem Deutschen Reich seit 1933 zum Ausgang genommen werden sollte.

Nicht zuletzt wegen dieses Engagements wurde ihm 2014 der »Kultur- und Friedenspreis« der Bremer Villa Ichon zuerkannt. Dass ihm vier Jahre später auch das »Bundesverdienstkreuz am Bande« übergeben wurde, hat er durchaus als Ehre verstanden. Der erste Preis war ihm aber wichtiger, weil damit auch sein vielfältiges und jahrzehntelanges gesellschaftliches Wirken gewürdigt wurde.

Auschwitz und insbesondere seine Erfahrungen während des Prozesses 1963 ließen ihn nicht los. Unter dem Titel »Asche auf vereisten Wegen« erschienen vier Jahrzehnte später seine damaligen Berichte in mehreren Auflagen und fanden erneut positive Aufnahme. Damit dieser Wissensfundus nicht verloren geht, übergab er eine mehrere Meter umfassende Sammlung an Dokumenten »gegen das Vergessen« an das Archiv des Fritz-Bauer-Forums (Bochum).

Kurt Nelhiebel verstand Erinnerungspolitik und Kultur in engem Zusammenhang. So schrieb er anlässlich des Todes des antifaschistischen Komponisten Mikis Theodorakis: »Er war für mich die Stimme all der Gerechten, die im Widerstand gegen den Faschismus für das Gute im Menschen gekämpft und gelitten haben, und wenn ich die Augen schließe, höre ich aus abertausenden von Gräbern einen Choral zu Ehren von Mikis Theodorakis. Ich höre Lieder wie das von Ernst Busch gesungene unsterbliche -›Spaniens Himmel breitet seine Sterne, über unsere Schützengräben aus‹ aus dem Spanischen Bürgerkrieg, oder das nicht weniger unsterbliche ›Ciao, bella, ciao‹ der italienischen Partisanen, das ebenso zum Volkslied geworden ist wie die von Theodorakis komponierte Melodie für den Sirtaki in dem Film ›Alexis Sorbas‹, dargestellt und getanzt von dem unvergleichlichen Anthony Quinn.« Nun fehlt Kurt Nelhiebels Stimme ebenfalls.

Aus der Urkunde zum »Kultur- und Friedenspreis« der Bremer Villa Ichon an Kurt Nelhiebel: »Seine Werke sind Dokumente des deutschen Antifaschismus. Bestimmt werden sie von der Ablehnung des Nazi-Ungeistes und – in Wahrung der Weltoffenheit – vom Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus«.