FIR im Kalten Krieg

geschrieben von Ulrich Schneider

4. Januar 2025

Studie über die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer

Mit dem Verschwinden der Zeitzeugen geraten die Verbände der Überlebenden der Lager und ihre internationalen Verbindungen zunehmend in den Fokus jüngerer Akademiker*innen. Auf der Suche nach »innovativen« Themen entdeckt man die Archivbestände der Verbände ehemaliger Verfolgter, die – oftmals ungeordnet – noch von keinem Wissenschaftler erschlossen wurden.

Die Überlebendenverbände, deren Archiv in eine gewisse Ordnung gebracht wird, profitieren davon. Die Wissenschaftler, die bislang unbearbeitetes Terrain betreten, müssen ebenfalls kein Risiko fürchten, dass jemand anderes ihr Thema ebenfalls bearbeitet. Es sind auch solche Gründe, die erklären können, warum gegenwärtig nicht nur zahlreiche Studien erscheinen, sondern auch internationale Konferenzen zum Thema stattfinden. Auffällig ist jedoch, dass solche Tagungen allein im akademischen Milieu stattfinden, die Überlebenden (soweit Zeitzeugen noch leben) oder die politischen Akteure, die sich in der Fortsetzung dieser Organisationsstrukturen um die Bewahrung des Vermächtnisses heute einbringen, werden dazu selten oder gar nicht eingeladen.

In diesem Kontext steht auch die im Sommer 2024 erschienene Studie von Maximilian Becker über die Geschichte der FIR im Kalten Krieg bis Anfang der 1990er-Jahre. Es ist eine ausgesprochene Fleißarbeit, an der er nach eigenen Aussagen gut zehn Jahre mit Forschungsaufenthalten und Recherche in mehr als einem Dutzend Archiven in verschiedenen Ländern gearbeitet hat. Knapp 500 Seiten, darunter mehrere hundert Anmerkungen und hundert Seiten Anhang mit Kurzbiografien, Quellen und Literaturverzeichnis sowie Hinweisen auf die Organisationsstrukturen, sind das Ergebnis. Tatsächlich beschäftigt Becker sich sogar mit zwei Verbänden, nämlich der FIAPP (Fédération Internationale des Anciens Prisonniers Politiques – Internationale Föderation ehemaliger politischer Gefangener) von 1947 bis 1951 und der FIR von 1951 bis 1990. Bezogen auf die FIAPP ist es die erste Darstellung zur Verbandsgeschichte.

Maximilian Becker: Antifaschismus und Kalter Krieg. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer im Nachkriegseuropa. Band 6 der Reihe: Buchenwald und Mittelbau-Dora – Forschungen und Reflexionen. Wallstein Verlag, Göttingen 2024, 475 Seiten, 46 Euro

Maximilian Becker: Antifaschismus und Kalter Krieg. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer im Nachkriegseuropa. Band 6 der Reihe: Buchenwald und Mittelbau-Dora – Forschungen und Reflexionen. Wallstein Verlag, Göttingen 2024, 475 Seiten, 46 Euro

Auffällig ist, wie intensiv sich der Autor mit den politischen Zerwürfnissen zwischen den Verbänden beschäftigt, wie wenig aber mit der staatlichen Einflussnahme, die zu Abspaltung bei Mitgliedsverbänden in verschiedenen Ländern geführt hat (z. B. in Deutschland, Frankreich und Österreich). Die FIAPP mit ihrem Sitz in Paris und dem Generalsekretariat in Warschau stand als Organisation quer zu den Trennungslinien des Kalten Krieges. Im Osten und im Westen wurde versucht, massiv Einfluss auf das Handeln der FIAPP zu nehmen. Unstrittig waren die Folgen der ideologischen Spaltung zwischen der UdSSR und Jugoslawien für die Arbeit der FIAPP. Diese Konflikte konnten innerhalb der FIAPP nicht gelöst werden, so dass die Gründung einer neuen transnationalen Dachorganisation zwingend war.

Zwar verstand sich die FIR in der Tradition der FIAPP. Dennoch stellte die Gründung der FIR einen Neuanfang dar. Der Gründungskongress in Wien 1951 war als »Internationaler Friedenskongress der Widerstandsbewegung« angelegt. Dieses Thema besaß für die Überlebenden höchste Priorität. Im Gegensatz dazu versteht Becker den Einsatz der FIR für Frieden eher als »Propagandaagentur im Dienst des Ostblocks«. Das wird dem Anliegen der Überlebenden nicht gerecht. Dem Motto »Nie wieder Krieg« folgend, kämpften sie Jahrzehnte gegen Remilitarisierung und für den Abbau von militärischer Konfrontation. An diesem Punkt fehlt dem Autor ein Verständnis für die Überlebendenverbände, obwohl er doch in der Studie die vielfältigen Initiativen der FIR für Frieden und ihre Kooperation mit anderen Kriegsopferverbänden ausführlich darstellt.

Ein Bereich der FIR-Arbeit, der in enger Abstimmung mit den nationalen Verbänden umgesetzt wurde, war die Geschichts- und Gedenkarbeit. Dass die FIR ihre Erinnerungsarbeit dabei nicht allein auf die Trauer um die Opfer reduzierte, sondern im Sinne eines »Lernens für die Zukunft« damit auch aktuelle Fragen verband, glaubt der Autor ihr implizit vorhalten zu müssen. Im Fokus von Becker stehen die politischen Konflikte innerhalb der FIR. Dabei behandelt er auch die Stellungnahmen der FIR zu verschiedenen weltpolitischen Konflikten. Während der Autor die Heterogenität der FIR betont und nachzeichnet, wäre es eine ebenso lohnende Fragestellung, wie es der Dachorganisation gelang, trotz solcher Spannungen über die vergangenen mehr als sieben Jahrzehnte die Einheit zu bewahren. Nicht nachvollziehbar ist, warum der Autor die politischen Einflussnahmen von außen bei diesen Konflikten so gering gewichtet. Die FIR musste auf gesellschaftspolitische Veränderungen reagieren, konnte die Probleme der Mitgliedsverbände in ihren eigenen Ländern jedoch nicht lösen.

Becker vermittelt den Eindruck, als seien die FIAPP und später die FIR quasi das »Politbüro der antifaschistischen Internationale« gewesen, dem die Mitgliedsverbände zu folgen hätten. Dem war und ist bis heute jedoch nicht so. Die Mitgliedsverbände waren eigenständig und oftmals mehr den nationalen Perspektiven verpflichtet als der »Unterordnung« unter die FIR-Orientierung.

Bedauerlich ist, dass der Autor zwar intensive Quellenarbeit betrieben hat, jedoch den inhaltlichen Kontakt zu Akteuren der Bewegung vermied. Manche Aussagen wären möglicherweise anders ausgefallen.